Ausgangsfall
Der Entscheidung des BGH liegt – vereinfacht dargestellt – folgender Sachverhalt zugrunde, wobei die prozessualen Besonderheiten des Falles nachstehend nicht erörtert werden sollen.
Ein Energieversorgungsunternehmen, die spätere Insolvenzschuldnerin, warb Neukunden für Energielieferungsverträge über Gas und Strom unter anderem mit einem einmaligen umsatzabhängigen Neukundenbonus in Höhe von 15 Prozent des Jahresumsatzes für Gas- und 25 Prozent des Jahresumsatzes für Stromlieferungen. Die AGB der Schuldnerin sahen eine zwölfmonatige Mindestvertragslaufzeit vor. Zudem war gemäß ihrer AGB eine Verrechnung der den Neukunden zu gewährenden Bonifikationen mit Forderungen der Schuldnerin aus unterjähriger Abrechnung vor Ablauf eines Belieferungsjahres und mit Abschlagszahlungen vor Erteilung der ersten Jahresverbrauchsrechnung ausgeschlossen.
Der für die Schuldnerin bestellte vorläufige Insolvenzverwalter rechnete nach seiner Bestellung und der Einstellung der Energielieferung eine Vielzahl von Energieversorgungsverträgen ab, wobei er bei den Verträgen mit einer Laufzeit von unter einem Jahr die Neukundenboni nicht berücksichtigte und im Übrigen die Berücksichtigung der Neukundenboni mit Hinweis auf die insolvenzrechtliche Unzulässigkeit einer solchen Aufrechnung nach §§ 94 ff. InsO ablehnte.
Die Entscheidung des BGH
Nach der Entscheidung des BGH ist der Neukundenbonus nicht an eine Mindestlaufzeit des Versorgungsvertrags gebunden. Zudem stehen die Aufrechnungsregelungen gemäß §§ 94 ff. InsO der Berücksichtigung des Neukundenbonus im Rahmen der Abrechnung nicht entgegen.
Keine Anknüpfung des Neukundenbonus an vertragliche Mindestlaufzeit
Nach der Entscheidung des BGH kann von der Benennung des Jahresumsatzes als Bezugsgröße für die Berechnung des Neukundenbonus nicht darauf geschlossen werden, dass die Gewährung des Neukundenbonus an eine Mindestlaufzeit oder Mindestbelieferung von einem Jahr geknüpft ist. Im Rahmen der Vertragsauslegung sind zwar auch der mit dem Klauselwerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln zu berücksichtigen, dies jedoch nur, soweit sie für den Kunden erkennbar sind. Nach Vertragsauslegung verbleibende Zweifel gehen dabei zulasten des Klauselverwenders, § 305c Abs. 2 BGB. Die Umschreibung des Bonus als einmaliger Prämienbetrag spricht dafür, dass hierdurch nicht eine bestimmte Vertragsdauer oder Vertragstreue honoriert werden soll, sondern der Abschluss eines neuen Vertrags mit der Schuldnerin.
Der BGH weist in seiner Entscheidung darauf hin, dass auch dann, wenn von einer Bindung des Neukundenabschlusses an eine Mindestlaufzeit auszugehen wäre, die Unklarheitenregel nach § 305c Abs. 2 BGB zulasten des Klauselverwenders ginge. Der Kunde dürfte in diesen Fällen davon ausgehen, dass nur eine von ihm veranlasste Kündigung zum Entfall des Bonusanspruchs führt, nicht aber die Einstellung der Belieferung aufgrund der Einstellung des Geschäftsbetriebs der Schuldnerin. Jede andere Auslegung würde zu dem fernliegenden Ergebnis führen, dass der Klauselverwender durch sein tatsächliches Handeln oder eine Kündigung des Vertrags vor Ablauf eines Jahres die Grundlage für das Entstehen des Bonusanspruchs entziehen könnte.
Keine Anwendung der Aufrechnungsregelungen gem. §§ 94 ff. InsO auf Neukundenbonus
Nach Auffassung des BGH steht dem Abzug des Neukundenbonus im Rahmen der Entgeltabrechnung auch kein insolvenzrechtliches Aufrechnungsverbot entgegen.
Voraussetzung der Anwendung der §§ 94 ff. InsO ist das Bestehen einer Aufrechnungslage im Sinne des §§ 387 BGB, mithin zweier selbständiger und im Gegenseitigkeitsverhältnis stehender gleichartiger Forderungen. Keine Forderungen in diesem Sinne sind hingegen unselbständige Rechnungsposten, die als reine Berechnungsfaktoren unmittelbar anspruchsmindernd wirken.
Nach den vertraglichen Regelungen sollten die Kunden bei Neuabschluss eines Vertrags den Neukundenbonus in Form einer verbrauchsabhängigen Einmalzahlung erhalten. Dieser Neukundenbonus stellt jedoch nach Ansicht des BGH keine selbständige Forderung des Kunden dar, sondern ist bei der Jahresabrechnung als verbrauchsabhängiger Abzugsposten neben dem Grund- und dem Arbeitspreis lediglich als weiterer Berechnungsfaktor zu berücksichtigen. Der Neukundenbonus begründet mithin keine eigenständige Gegenforderung des Neukunden, sodass mangels Aufrechnungslage keine Aufrechnungsverbote nach §§ 94 ff. InsO dem Abzug des Neukundenbonus im Rahmen der Verbrauchsabrechnung entgegenstehen.