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Für die gesamte M&A-Praxis bedeutsame Entscheidung des BGH zu vorvertraglichen Aufklärungspflichten bei einem (Immobilien-)Verkauf


Aktuelles BGH-Urteil verdeutlicht, dass allein das Einstellen von Informationen und Dokumenten in einen virtuellen Datenraum nicht immer ausreicht, um die vorvertraglichen Aufklärungspflichten des Verkäufers zu erfüllen und ihn von der Haftung freizustellen. 

Überblick

In seiner aktuellen Entscheidung zu einem Immobilienverkauf hat der BGH klargestellt, dass das bloße Einstellen von Dokumenten in einem virtuellen Datenraum nicht in jedem Fall ausreicht, um als Verkäufer seine vorvertraglichen Aufklärungspflichten zu erfüllen. Vielmehr bestehe die Pflicht des Verkäufers darin, den Käufer in bestimmten Fällen gezielt auf besondere Umstände hinzuweisen. Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn der Umstand – für den Verkäufer erkennbar – für den Käufer von besonderer Bedeutung, aber aus den bereitgestellten Dokumenten nicht ohne weiteres erkennbar ist und dem Verkäufer dieser Umstand bekannt und daher unschwer zu offenbaren ist. Etwas anderes gelte nur dann, wenn der Verkäufer aufgrund der Gesamtumstände des Einzelfalls die berechtigte Erwartung haben durfte, der Käufer werde durch Einsicht in den Datenraum Kenntnis von dem offenbarungspflichtigen Umstand erhalten. Diese Ausnahme gilt jedenfalls nicht, wenn relevante Dokumente kurz vor Vertragsabschluss ohne gezielten Hinweis in den Datenraum eingestellt werden.

Wesentliche Grundsätze der aktuellen Entscheidung sind über Immobilienverkäufe hinaus relevant. Sie gelten aus unserer Sicht für alle Unternehmenstransaktionen, bei denen virtuelle Datenräume gemäß gängiger Praxis als Informationsquelle für einen beabsichtigten (Ver-)Kauf dienen.

Sachverhalt

Im Zusammenhang mit dem Verkauf einer Gewerbeimmobilie für einen verhandelten Kaufpreis von 1,5 Mio. Euro sicherte der beklagte Verkäufer im Kaufvertrag unter anderem zu, keine Kenntnis von ungewöhnlichen Kosten im aktuellen Wirtschaftsjahr oder in der Zukunft zu haben. Des Weiteren versicherte er, dass die Eigentümergemeinschaft keine zusätzlichen Sonderumlagen beschlossen habe. Darüber hinaus wurde im Kaufvertrag festgehalten, dass alle Protokolle der Eigentümerversammlungen der letzten drei Jahre dem Käufer zur Verfügung gestellt wurden.

Vor der notariellen Beurkundung erhielt der Kläger Zugang zu einem virtuellen Datenraum, in dem verschiedene Dokumente zum Kaufobjekt hinterlegt waren. Jedoch erst drei Tage vor dem geplanten Notartermin stellte der Verkäufer eine Sammlung von Beschlüssen der Eigentümerversammlungen seit dem Jahr 2007 bereit. Darin enthalten war ein Protokoll der Eigentümerversammlung aus dem Jahr 2016, wonach der damalige Mehrheitseigentümer zur Finanzierung von Sanierungsarbeiten in Höhe von 50 Mio. Euro in Anspruch genommen werden konnte. Als Ergebnis der späteren klageweisen Durchsetzung/Geltendmachung einer solchen Sonderumlage wurden die Eigentümer der Gewerbeeinheiten – inkl. des jetzigen Klägers – auf Zahlung einer Sonderumlage in Höhe bis zu 50 Mio. Euro in Anspruch genommen.

Der Kläger klagte in den Vorinstanzen erfolglos auf Rückabwicklung des Kaufvertrags und Schadensersatz gegen den Verkäufer. Der BGH hat das Urteil des Berufungsgerichts größtenteils aufgehoben und den Fall zur erneuten Verhandlung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Entscheidung des BGH

Der BGH bezieht sich auf einen möglichen Schadensersatzanspruch des Käufers insbesondere unter dem Gesichtspunkt der unterbliebenen Aufklärung des Klägers über einen offenbarungspflichtigen Umstand. Der BGH stellt hierbei zunächst klar, dass es sich bei den Sanierungsmaßnahmen mit einem Kostenumfang von 50 Mio. Euro um einen offenbarungspflichtigen Umstand handle. Nach ständiger Rechtsprechung besteht für jede Vertragspartei die Pflicht, den anderen Vertragspartner über Umstände aufzuklären, die den Vertragszweck des anderen erkennbar vereiteln können.

Kein Wegfall der Aufklärungspflicht durch Einstellen von Dokumenten in den Datenraum

Diese Aufklärungspflicht sei nicht dadurch entfallen, dass der Verkäufer das Protokoll der Eigentümerversammlung in den Datenraum eingestellt habe. Denn die für den Käufer bestehende Möglichkeit, sich die Kenntnis von dem offenbarungspflichtigen Umstand selbst zu verschaffen, schließe die Pflicht des Verkäufers zur Offenbarung nicht von vornherein aus. Maßgeblich sei vielmehr, ob der Verkäufer aufgrund der Umstände des Einzelfalls die berechtigte Erwartung haben könne, dass der Käufer durch Einsichtnahme in den Datenraum (rechtzeitige) Kenntnis von dem offenbarungspflichtigen Umstand erlangen werde.

Berechtigte Erwartung vs. expliziter Hinweis trotz des Einstellens von Dokumenten in den Datenraum

Für die Frage, ob und wann aufgrund der Umstände des Einzelfalls die berechtigte Erwartung bestehen kann, dass ein offenbarungspflichtiger Umstand durch den Käufer im Rahmen der Due Diligence erkannt wird, stellt der BGH auf die folgenden Faktoren ab:

(i) ob und in welchem Umfang der Käufer eine Due Diligence durchgeführt hat, insbesondere welche Absprachen die Parteien zu deren Ablauf getroffen haben und wie viele Personen mit Fachkenntnis hieran beteiligt waren

(ii) wie der Datenraum und der Zugriff darauf organisiert waren, insbesondere seine Strukturierung, die korrekte Bezeichnung der Dokumente und systematische Sortierung, z. B. auch ob der Käufer auf nachträglich eingestellte Unterlagen hingewiesen wird

(iii) um welche Art von Information es sich handelt, in welchem Dokument sie enthalten ist und wie viel Zeit dem Käufer zur Prüfung der Information zur Verfügung steht

Im konkreten Fall verneinte der BGH die Annahme einer berechtigten Erwartung u. a. deshalb, weil das betreffende Protokoll der Eigentümerversammlung erst drei Tage vor der Beurkundung in den virtuellen Datenraum eingestellt wurde. Denn in einem so kurzen Zeitraum vor Vertragsschluss bestehe üblicherweise aufseiten des Käufers keine Notwendigkeit, den Datenraum auf derart wichtige Informationen zu überprüfen.

Beweislastumkehr und allenfalls Berücksichtigung von Mitverschulden bei Verletzung der Erkundigungspflicht durch den Käufer

Abschließend stellt der BGH zudem klar, dass die im Kaufvertrag enthaltene Bestätigung durch den Käufer, die entsprechende Unterlage erhalten zu haben, nicht zu einer unwiderleglichen Vermutung der Kenntnis des Käufers diesbezüglich führe, sondern allenfalls zu einer Beweislastumkehr. Zudem wirke sich ein etwaiger Verstoß des Klägers gegen eine ihn möglicherweise treffende Erkundigungsobliegenheit nicht unmittelbar auf die Aufklärungspflicht des Verkäufers aus. Ein etwaiger Verstoß könne lediglich im Rahmen eines etwaigen Mitverschuldens berücksichtigt werden, was dazu führt, dass die Schadenshöhe zu reduzieren wäre.

Auswirkungen auf die Praxis

Das BGH-Urteil verdeutlicht ganz klar, dass allein das Einstellen von Informationen und Dokumenten in einen virtuellen Datenraum nicht immer ausreicht, um die vorvertraglichen Aufklärungspflichten eines Verkäufers zu erfüllen und ihn von der Haftung freizustellen. Wenn für die Kaufentscheidung wichtige Informationen in den Datenraum gestellt werden, sollte der Verkäufer nicht darauf vertrauen, dass der Käufer diese eigenständig ermitteln wird. Dies gilt auch, wenn professionelle Berater beteiligt sind, was normalerweise der Fall ist. Dies gilt insbesondere auch dann, wenn zwischen dem Zeitpunkt des Einstellens und dem Notartermin nur noch ein Wochenende liegt. Der Käufer hätte somit am letzten Arbeitstag vor dem Notartermin nicht mehr mit neu eingestellten Dokumenten rechnen müssen.

Zur Vermeidung von Konflikten ist es ratsam, dass der Verkäufer bereits im Vorfeld der Transaktion, zusammen mit professionellen Beratern, sorgfältig prüft und analysiert, welche Informationen für potenzielle Käufer von großer Bedeutung sein könnten. Diese sollten frühzeitig in einem gut organisierten Datenraum vollständig benannt platziert oder sogar im Information Memorandum offengelegt werden. Zudem sollten besondere Umstände, die für den Käufer von erheblicher Bedeutung sein könnten, separat hervorgehoben und im Kaufvertrag festgehalten werden. Der Kaufvertrag sollte auch Bestimmungen über den Umfang und die Tiefe der Due Diligence enthalten, insbesondere Regeln und Fristen zur Nutzung des Datenraums. Dies gewährleistet eine klare, belastbare Dokumentation der Käuferaktivitäten im Rahmen der Prüfung und verhindert Missverständnisse im Haftungsprozess.

In der Praxis sollte daher verkäuferseitig bei der Verhandlung von Kaufverträgen erhöhter Wert auf den Hinweis auf die relevanten Umstände für den Kauf und die Festlegung eines Cut-off Date gelegt werden, nach dem keine weiteren Dokumente in den Datenraum aufgenommen werden. Bei kurzfristig vor Abschluss des Kaufvertrags eingestellten wesentlichen Informationen wird ein gesonderter Hinweis durch den Verkäufer erforderlich sein; hier kann sich unter Umständen ein konkreter Hinweis auch im Kaufvertrag anbieten, etwa auf einen Datenraumindex und einen Sonderordner mit wesentlichen, kurzfristig eingestellten Unterlagen.

Kontaktpersonen: Dr. Torsten Göcke, LL.M.Asada Razaie, Jonas Reguez