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Kollektiver Rechtsschutz für Verbraucher


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Mittels der Abhilfeklage lassen sich Ansprüche gegen Unternehmen für Privatpersonen und kleine Unternehmen künftig leichter durchsetzen.

Am 13.10.2023 ist das sogenannte Verbandsklagenrichtlinienumsetzungsgesetz (VRUG) in Kraft getreten, dessen Kern das neue Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz (VDuG) ist. Verbraucherverbände können von nun an Abhilfeklagen erheben, die über die bisherige Möglichkeit der Musterfeststellungsklage hinaus Ansprüche auf Schadensersatz, Reparaturen, Ersatzleistungen, Preisminderungen, Vertragsauflösungen und Rückerstattungen zum Gegenstand haben können.

Überblick

  • Qualifizierte Verbraucherverbände aus dem In- und Ausland können im Wesentlichen gleichartige Ansprüche von Verbrauchern und kleinen Unternehmen im kollektiven Rechtsschutz geltend machen.
  • Grundsätzlich ist die Abhilfeklage bei inländischen und grenzüberschreitenden Sachverhalten möglich.
  • Um eine Abhilfeklage erheben zu können, muss der qualifizierte Verbraucherverband nachvollziehbar darlegen, dass Ansprüche von mindestens 50 Verbrauchern betroffen sein können.
  • Im Falle einer Verurteilung schließt sich ein Umsetzungsverfahren an, in dem ein gerichtlich bestellter Sachverständiger die einzelnen Ansprüche der Verbraucher prüft und ggf. erfüllt.

Hintergrund und Anwendungsbereich

Mit dem VRUG setzt der deutsche Gesetzgeber – wenn auch mit etwas Verzögerung – die EU-Verbandsklagenrichtlinie um. Weil bisheriges EU-Recht das Kollektivinteresse der Verbraucher nur bei Unterlassungsansprüchen schützte und Verbandsklageverfahren in den Mitgliedstaaten ein unterschiedliches Maß an Verbraucher- und Vertrauensschutz boten, sah Brüssel Handlungsbedarf. Die EU-Verbandsklagenrichtlinie wurde bereits Ende 2020 erlassen, die Umsetzungsfrist lief am 25.12.2022, die Anwendungsfrist am 25.06.2023 ab.

Klageberechtigung

Bei der Umsetzung in deutsches Recht hat sich der Gesetzgeber entschieden, auch kleine Unternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten und einem Jahresumsatz oder einer Jahresbilanz von nicht mehr als 2 Millionen Euro als Verbraucher im Sinne des Gesetzes einzustufen. Klageberechtigte Stellen sind Verbraucherverbände, die im Klageregister des Bundesamtes für Justiz gemäß § 4 Unterlassungsklagengesetz (UKlaG) eingetragen sind und weniger als 5 Prozent ihrer finanziellen Mittel von Unternehmen erhalten.

Anforderungen an die Zulässigkeit

§ 4 VDuG sieht zum einen vor, dass der jeweilige Verbraucherverband nachvollziehbar darlegen muss, dass Ansprüche von mindestens 50 Verbrauchern betroffen sein können. Wie bereits zu beobachten ist, werden die Verbraucherverbände entsprechend ihrer Verpflichtung nach § 12 VDuG regelmäßig vorab ihre Absicht veröffentlichen, gegen bestimmte Unternehmen eine Abhilfeklage vorzubereiten, um Verbraucher frühzeitig zu informieren und zu mobilisieren. Dadurch können sich Unternehmen durch entsprechendes Monitoring auf die Inanspruchnahme vorbereiten und möglicherweise Gegenmaßnahmen zur Schadensabwendung bzw. -minderung einleiten.

Eine Abhilfeklage ist unzulässig, wenn sie von einem Dritten finanziert wird,

  • der ein Wettbewerber des verklagten Unternehmers ist,
  • der vom verklagten Unternehmer abhängig ist,
  • dem ein wirtschaftlicher Anteil an der vom verklagten Unternehmer zu erbringenden Leistung von mehr als 10 Prozent versprochen ist oder
  • von dem zu erwarten ist, dass er die Prozessführung der klageberechtigten Stelle, einschließlich Entscheidungen über Vergleiche, zulasten der Verbraucher beeinflussen wird.

Die Herkunft der Finanzierungsmittel der Abhilfeklage sind ebenso wie Vereinbarungen mit Prozessfinanzieren bei Klageeinreichung offenzulegen. Dies erleichtert es den Beklagten, mögliche Unzulässigkeitsgründe zu identifizieren und zu rügen.

Schließlich müssen die von der Klage betroffenen Ansprüche im Wesentlich gleichartig sein, also auf demselben Sachverhalt oder auf einer Reihe im Wesentlichen vergleichbarer Sachverhalte beruhen. Außerdem müssen für sie die im Wesentlichen gleichen Tatsachen- und Rechtsfragen entscheidungserheblich sein. Dies wird abzulehnen sein, wenn z. B. nicht alle Produkte einer Reihe defekt sind oder die individuelle Kenntnis des Verbrauchers ausschlaggebend ist.

Opt-in

Kollektiver Rechtsschutz unterscheidet zwischen Opt-in- und Opt-out-Verfahren. Beim Opt-in müssen die Verbraucher dem Verfahren aktiv beitreten, wenn sie sich beteiligen möchten, beim Opt-out müssen sie aktiv aus dem Verfahren austreten, wenn sie nicht daran teilnehmen wollen. In Deutschland gilt nach dem VDuG das Opt-in-Verfahren, wonach sich Verbraucher bis zum Ablauf von drei Wochen nach der letzten mündlichen Verhandlung einer Verbandsklage anschließen können. Bis zu diesem Zeitpunkt kann kein Vergleich geschlossen werden, ein Urteil kann frühestens sechs Wochen nach der letzten mündlichen Verhandlung gefällt werden.

Der relativ späte Opt-in–Zeitpunkt dürfte zuverlässige Risikoeinschätzungen und Vergleichsverhandlungen für die Beklagten erheblich erschweren.

Grund- bzw. Endurteil und Vergleichsmöglichkeiten

Im Falle der Begründetheit dürfte in der Regel zunächst ein Abhilfegrundurteil ergehen, andernfalls ein abweisendes Endurteil. Erscheinen Vergleichsverhandlungen aussichtslos, erlässt das Gericht auf Antrag der Parteien ebenfalls ein Endurteil. Dem Abhilfegrundurteil schließen sich vom Gericht zu initiierende Vergleichsverhandlungen an. Nur im Falle des Scheiterns der Vergleichsverhandlungen und der Rechtskraft des Abhilfegrundurteils erlässt das Gericht ein Abhilfeendurteil. Dabei bestimmt es im Falle einer Stattgabe die Höhe des kollektiven Gesamtbetrags nach freier Überzeugung unter entsprechender Anwendung des § 287 ZPO.

Umsetzungsverfahren

Verurteilt ein Gericht das beklagte Unternehmen zur Wiedergutmachung (Schadensersatz, Rückzahlung, Nachbesserung etc.), wird die Umsetzung von einem gerichtlich bestellten Sachwalter durchgeführt. Dieser soll diejenigen Verbraucher befriedigen, die die vom Gericht festgesetzten Berechtigungsnachweise vorlegen können (z. B. Kaufbelege, Flugtickets etc.). Gegen die Entscheidungen des Sachwalters können beide Seiten zunächst Widerspruch beim Sachwalter einlegen und in einem zweiten Schritt eine gerichtliche Entscheidung über den Widerspruch herbeiführen. Gemäß den §§ 39, 40 VDuG können Verbraucher und Unternehmen nach Abschluss des Umsetzungsverfahrens unter Umständen Individualverfahren auf Anspruchserfüllung oder Herausgabe anstrengen, sofern die Gründe, auf denen diese Verfahren beruhen, nicht während der (kollektiven) Abhilfeklage hätten geltend gemacht werden können.

Fazit

Auf Unternehmen dürfte eine neue Art von Inanspruchnahme zukommen. Erste Verbraucherverbände haben bereits Abhilfeklagen angekündigt oder bereiten diese vor. Insbesondere bei grenzüberschreitenden Sachverhalten ist abzuwarten, ob hier eine Art „forum shopping“ eintreten wird. Damit ist gemeint, dass die klagenden Verbraucherverbände versuchen werden, Verbandsklagen vor Gerichten mit besonders verbraucherfreundlicher Rechtsprechung oder in Jurisdiktionen mit günstigen Regelungen zur Finanzierung der Abhilfeklage anhängig zu machen. Bei grenzüberschreitenden Sachverhalten kommen die allgemeinen kollisionsrechtlichen Regelungen zur Anwendung, weshalb ein „forum shopping“ insbesondere bei europarechtlichen Ansprüchen etwa aus der Fluggästeverordnung, der DSGVO usw. denkbar ist.

Kontaktpersonen: Dr. Michael Kawalla, LL.M., Dr. Janos Oszvald, LL.M.