Deutscher Bundestag am Abend

Zum Jahreswechsel: wichtige Gesetze 2023 und 2024 im Überblick


Das zweite Jahr der 20. Legislaturperiode in Deutschland neigt sich dem Ende zu. Insgesamt 412 Gesetzesvorhaben wurden in dieser Zeit eingebracht, 175 davon schafften es bis zur Verkündung als fertiges Gesetz. Darunter waren für einzelne Rechtsgebiete wegweisende Neuerungen. Andere Vorhaben stecken noch im laufenden Gesetzgebungsprozess. Auf EU-Ebene waren 2023 bislang 66 ordentliche Gesetzgebungsverfahren zu verzeichnen, davon 37 Basis- und 29 Änderungsrechtsakte. EU-Verordnungen überlagerten dabei zahlenmäßig EU-Richtlinien und Beschlüsse – Anlass genug für einen Rück-, aber auch einen Ausblick auf die Gesetzgebung für ausgewählte Rechtsbereiche.

Arbeitsrecht

Im Arbeitsrecht sorgte das Zweite Gesetz zur Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes für Aufmerksamkeit, das sich der Vergütung von Betriebsratsmitgliedern widmet. Mit ihm wurden Klarstellungen zur Bestimmung der mit dem Betriebsratsmitglied vergleichbaren Arbeitnehmer sowie präzisierte Maßstäbe des Begünstigungs- und Benachteiligungsverbots eingeführt.

Von großer Bedeutung im Jahr 2024 ist auch das von Bundesarbeitsminister Heil noch für 2023 angekündigte Gesetz für mehr Tarifbindung. Die dahinter stehende Bestrebung, öffentliche Aufträge verstärkt an tarifgebundene Unternehmen zu vergeben, wird kontrovers diskutiert. Ein neues Arbeitszeitgesetz steht vor dem Hintergrund der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Pflicht der Arbeitszeiterfassung ebenfalls in den Startlöchern. Mehr als ein Referentenentwurf vom Mai 2023 liegt aber noch nicht vor (zum weiteren Hintergrund). Außerdem wurde im Juli ein Eckpunktepapier für eine Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes von der Antidiskriminierungsbeauftragten veröffentlicht. Damit sollen die Diskriminierungsmerkmale erweitert, das Handeln des Bundes einbezogen und die Klagemöglichkeiten Betroffener vereinfacht werden.

Digital Law

Das Jahr 2023 brachte außerdem bahnbrechende Entwicklungen in Bezug auf die Regulierung von künstlicher Intelligenz (KI). Nach dem ersten Entwurf im Jahr 2021 einigten sich am 08.12.2023 schließlich die Unterhändler von EU-Parlament, Rat und Kommission auf ein umfassendes Regelwerk für KI, die EU-KI-Verordnung (KI-VO) (lesen Sie dazu auch den aktuellen Beitrag auf unserer Homepage.) Mit dieser Verordnung sollen KI-Systeme je nach den von ihnen ausgehenden Risiken unterschiedlichen Regelungen unterworfen werden (für Details siehe Rechtskonformer Einsatz von Künstlicher Intelligenz). Die KI-VO wird zeitnah verabschiedet und voraussichtlich in Q2/2024 in Kraft treten. Mit einer Übergangsfrist von zwei Jahren wird die KI-VO somit im Jahr 2026 Unternehmen wie auch den öffentlichen Sektor unmittelbar verpflichten.

Ebenfalls harmonisiert werden die Vorschriften für Datenzugang und -nutzung (Data Act). Diese Neuregelung verfolgt das Ziel, den Zugang der Nutzerinnen und Nutzer zu den von ihnen erzeugten Daten sicherzustellen und klare Regeln für die Weitergabe dieser Daten zu schaffen. Nach Veröffentlichung im Amtsblatt der EU und nach einer grundsätzlichen Übergangsfrist von 20 Monaten wird der Data Act EU-weit direkt anwendbares Recht werden. 2023 trat außerdem die Richtlinie über Maßnahmen für ein hohes gemeinsames Cybersicherheitsniveau (NIS-2-Richtlinie) in Kraft, um den mit zunehmender Digitalisierung steigenden Risiken zu begegnen. Sie ist bis zum 17.10.2024 in nationales Recht umzusetzen.

Auch das Jahr 2024 wird weiter ganz im Zeichen von KI stehen.

Energierecht

Das turbulente Geschehen im Energierecht kommt auch 2023 und 2024 nicht zum Stillstand. Die Energiepreisbremse für einen Großteil des Strom- und Gasverbrauchs sollte bis März 2024 verlängert werden, dies wird aber infolge des „Haushaltsurteils“ des Bundesverfassungsgerichts zum Klima- und Transformationsfonds vom 15.11.2023 kurzerhand wieder rückgängig gemacht. Die Preisbremsen werden folglich, wie ursprünglich vorgesehen, zum Jahresende auslaufen. Inwiefern die geplante Steuersenkung für Industriestrom angesichts der angespannten Haushaltssituation realisiert werden kann, ist noch offen. Das Gebäudeenergie- und das Wärmeplanungsgesetz sollen 2024 den Weg für klimaneutrales Heizen ebnen, auch das Brennstoffemissionshandelsgesetz verschreibt sich den Klimaschutzzielen der Bundesregierung. Durch die Änderung des Energiewirtschaftsgesetzes folgt der Gesetzgeber einer EuGH-Entscheidung in einem Vertragsverletzungsverfahren. Der EuGH hatte festgestellt, dass Deutschland die Elektrizitäts- und die Erdgasbinnenmarkt-Richtlinien des Dritten Energiebinnenmarktpakets unzutreffend umgesetzt hat und die detaillierten Vorgaben zu Netzzugang und -entgelten die unionsrechtlich gebotene Unabhängigkeit der Regulierungsbehörden gefährden. Mit der Neuregelung gewinnt die Bundesnetzagentur an Bedeutung, die künftig größere Freiheiten bei der inhaltlichen Ausgestaltung des Regelwerks hat.

ESG und Compliance

Im Bereich ESG und Compliance hat das Jahr 2023 etliche zusätzliche Anforderungen für Unternehmen mit sich gebracht. Zu den wichtigsten Neuerungen zählt zum einen das Hinweisgeberschutzgesetz, gemäß dem Unternehmen mit mehr als 50 Beschäftigten zur Einrichtung eines internen Meldesystems verpflichtet sind, über das Rechtsverstöße gemeldet werden können und das gleichzeitig die hinweisgebenden Personen schützen muss, und zum anderen das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG), das Unternehmen mit in der Regel mindestens 3.000 Beschäftigten (1.000 ab 2024) zur Einrichtung einer Risikomanagement-Organisation in den Bereichen Menschenrechte und Umweltschutz verpflichtet, die sich sowohl auf Risiken im eigenen Geschäftsbereich als auch in der Lieferkette zu erstrecken hat. Daneben wurden auf EU-Ebene die Anti-Entwaldungsverordnung und die Batterieverordnung verabschiedet, nach denen künftig erweiterte produktbezogene Sorgfaltspflichten gelten und u. a. ein System zur Rückverfolgbarkeit über die gesamte Lieferkette hinweg einzurichten ist. Ganz aktuell ist am 14.12.2023 bekannt geworden, dass eine Einigung über die EU-Lieferkettenrichtlinie (CS3D) erzielt worden ist, mit der über das LkSG hinausgehende einheitliche umwelt- und menschenrechtsbezogene Sorgfaltspflichten für Unternehmen festgelegt werden.

Der Trend zur Schaffung neuer regulatorischer ESG-Anforderungen wird allerdings auch im Jahr 2024 nicht enden. So wird voraussichtlich die Richtlinie über die Begründung ausdrücklicher Umweltaussagen (Green-Claims-Richtlinie) zur Bekämpfung von Greenwashing beschlossen werden, nach der zukünftig umweltbezogene Angaben im B2C-Bereich nur dann zulässig sein werden, wenn belastbare Nachweise für die Richtigkeit der Werbeaussagen erbracht werden können und zudem ein von einer unabhängigen Prüfstelle ausgestelltes Konformitätszertifikat vorgelegt werden kann. Mit der Green-Claims-Richtlinie werden außerdem strengere Vorgaben zur Verwendung von Umweltlabels eingeführt, die u. a. deutlich höheren Transparenzanforderungen genügen müssen. Hinzukommen werden zahlreiche weitere themenspezifische Neuregelungen wie beispielsweise eine Verordnung über das Verbot von in Zwangsarbeit hergestellten Produkten (Forced Labor Regulation).

Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht

Etwas weniger aktiv als in den anderen Bereichen war die Gesetzgebung dieses Jahr im Bereich Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht zu. Das im November beschlossene Zukunftsfinanzierungsgesetz hat das Ziel, die Finanzierung und das Wachstum von Unternehmen zu fördern und die Finanzmarktstabilität zu stärken. Es erleichtert z. B. Start-ups den Zugang zum Kapitalmarkt und die Nutzung von Mitarbeiterbeteiligungen zur Gewinnung und Bindung benötigter Fachkräfte. Mit dem Gesetz werden außerdem die Mehrstimmrechtsaktien wieder und die elektronische Aktie neu eingeführt. Auch Erleichterungen bei Kapitalerhöhungen sind vorgesehen. Die genannten Regelungen treten am 15.12.2023 in Kraft.

Zum 01.01.2024 in Kraft treten wird auch das Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG). Nachdem eigentlich durch das Wachstumschancengesetz die steuerliche Klarstellung zum Gesamthandsprinzip erfolgen sollte, hat der Finanzausschuss des Bundestages gestern noch im Rahmen des Kreditzweitmarktförderungsgesetzes die steuerlichen Reaktionen auf das MoPeG inkl. einer auf drei Jahre befristeten Fortschreibung des Status Quo in der Grunderwerbsteuer beschlossen. Es ist zu erwarten, dass die Änderungen noch in dieser Woche in Bundestag und Bundesrat beschlossen werden (MoPeG-Anpassungen und Zinsschranke doch vorgezogen).

Als Teil des zuvor genannten Kreditzweitmarktförderungsgesetzes soll das Kreditzweitmarktgesetz die gleichnamige EU-Verordnung umsetzen und hat zum Ziel, den Abbau notleidender Kredite in den Bankbilanzen zu erleichtern und den Verbraucherschutz zu stärken. (Lesen Sie dazu auch den Beitrag in diesem Newsletter.) Zur Bekämpfung von Geldwäsche und anderen Finanzdelikten soll das Finanzkriminalitätsbekämpfungsgesetz (FKBG) die bestehenden Regelungen des Geldwäschegesetzes flankieren – unter anderem mit der Errichtung eines Bundesamtes zur Bekämpfung der Finanzkriminalität (BBF) und der Einrichtung eines Immobilientransaktionsregisters. Das Kreditzweitmarktgesetz und das FKBG werden erst 2024 das Gesetzgebungsverfahren durchlaufen haben.

Litigation und Dispute Resolution

2023 stand die deutsche Justiz erneut vor großen Herausforderungen, maßgeblich verursacht durch Klagewellen etwa wegen Diesel, überhöhter Bankgebühren und Energiepreiserhöhungen. Als Reaktion auf das in Deutschland noch relativ junge Phänomen der Massenklagen hat der deutsche Gesetzgeber ein Paket an Maßnahmen geschnürt, das zukünftig die effiziente Abwicklung von Massenverfahren erleichtern soll. Ein Schlüsselelement ist das im Oktober 2023 in Kraft getretene Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz, das es Verbraucherverbänden ermöglicht, Ansprüche einfacher und gebündelt durchzusetzen. Die ersten auf Zahlung gerichteten Sammelklagen sind bereits im Kontext von Preiserhöhungen durch Energieversorgungsunternehmen und Mobilfunkanbieter erhoben worden.

Ein weiterer wichtiger Baustein zur Entlastung der Justiz wird 2024 die Einführung eines sog. Leitentscheidungsverfahrens, das dem BGH die Möglichkeit gibt, für eine Vielzahl von Verfahren entscheidende Rechtsfragen noch klären zu können, selbst wenn Revisionen in letzter Minute zurückgenommen oder durch Vergleiche beendet werden (mehr dazu in diesem Newsletter). Darüber hinaus erwarten uns 2024 weitere gesetzgeberische Initiativen, die Deutschland als Justiz- und Wirtschaftsstandort stärken sollen. Durch das Justizstandortstärkungsgesetz sollen u. a. sogenannte Commercial Courts an Oberlandesgerichten, Englisch als Gerichtssprache in der Zivilgerichtsbarkeit und der Schutz von Geschäftsgeheimnissen in gerichtlichen Verfahren gestärkt werden. Weitere gesetzgeberische Vorhaben befassen sich mit der stetig voranschreitenden Digitalisierung in der Justiz. Wir werden wie gewohnt im Detail an dieser Stelle berichten.

Kartellrecht

Im Kartellrechtssektor prägte die 11. GWB-Novelle das Jahr 2023 (lesen Sie dazu auch den Beitrag in diesem Newsletter), mit der die Befugnisse des Bundeskartellamtes erweitert wurden. Für mehr Fairness bei öffentlichen Vergaben und Unternehmenstransaktionen soll die EU-Verordnung über wettbewerbsverzerrende Subventionen aus Drittstaaten (Foreign Subsidies Regulation) sorgen, die seit Juli 2023 gilt (dazu auch Financial Fairplay nicht nur im Fußball).

Der Ausblick auf 2024 zeigt ein neues Investitionsprüfungsgesetz. Es ist noch in der frühen Phase der Ressortabstimmung und soll es ermöglichen, ausländische Investitionen strenger zu prüfen, Exporte stärker zu kontrollieren, kritische Infrastruktur stärker zu schützen und außenwirtschaftliche Abhängigkeiten bei wichtigen Rohstoffen zu verringern. Besonders relevant für den Lebensmittelsektor dürfte auch die Novelle des Agrarorganisationen- und Lieferkettengesetzes sein, die für 2024 erwartet wird.

Öffentliches Recht

Im Beihilfenrecht von Bedeutung ist für 2023 die neue Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung (AGVO) 2023, die am 01.07.2023 in Kraft getreten ist. Im Verkehrssektor wird zudem die VO 1370/2007 von der Europäischen Kommission nach knapp zehn Jahren mit einer Überarbeitung der Auslegungsleitlinien bedacht. Darüber hinaus hat die Europäische Kommission im Vergaberecht neue Schwellenwerte für europaweite Vergaben für die Jahre 2024/2025 veröffentlicht und dabei die Schwellenwerte im Vergleich zu den bis zum 31.12.2023 gültigen leicht angehoben.

Auf nationaler Ebene ist für 2023 auf den Start von Gesetzesverfahren zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren im Bau- und Verkehrsbereich zurückzublicken. Im Forschungsbereich ist das Gesetz über die Arbeitsweise der Bundesagentur für Sprunginnovationen und zur Flexibilisierung ihrer rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen (SPRIND-Freiheitsgesetz oder kurz SPRINDFG) zu nennen, das nach Verabschiedung im Bundestag auf der Tagesordnung des Bundesrates am 15.12.2023 steht. Die Bundesagentur für Sprunginnovationen (kurz SPRIND) wurde 2019 gegründet und hat die Aufgabe, visionäre Forschungsideen in Deutschland, die das Potenzial zur Sprunginnovation haben, zu identifizieren und weiterzuentwickeln. Mit dem neuen Gesetz sollen die Rahmenbedingungen verbessert werden.

Die EU-Verpackungsverordnung [2022/0396(COD)] steht im Umweltrecht im Fokus (zum Thema Verpackungen siehe auch Lokale Verpackungssteuer – durch Bundesverwaltungsgericht bestätigt) Das Gesetzgebungsverfahren läuft basierend auf dem Entwurf vom 30.11.2022 bereits. Es ist damit zu rechnen, dass die endgültige Fassung der Verordnung 2024 vorliegen wird und die Umsetzung dann 2025 beginnt. Für die EU-Abfallrahmenrichtlinie läuft gerade ein Novellierungsverfahren. Inhalt sind insbesondere Änderungen für Alttextilien und Lebensmittelabfälle im Rahmen einer sog. erweiterten Herstellerverantwortung. Derzeit liegt der Entwurf im Umweltausschuss des Europäischen Parlaments. Schließlich ist auch hier die EU-Batterieverordnung zu nennen, die am 17.08.2023 in Kraft getreten ist und nach einer Frist von sechs Monaten am 18.02. 2024 in allen EU-Mitgliedstaaten gelten wird.

Zum guten Schluss

Auch 2024 wird sich einiges in Sachen deutscher Gesetzgebung und EU-Vorhaben tun. Wir halten Sie auf dem Laufenden. Und falls Sie nach diesem Überblick zum guten Schluss Ihr Wissen zu Gesetzgebungsverfahren in Deutschland allgemein etwas auffrischen wollen, schauen Sie gerne in den Beitrag unserer Kollegen „Wie in Deutschland Gesetze entstehen (sollten)“.

Kontaktpersonen: Kerstin Bangen, André Thoß