Einleitung
Es sollte mittlerweile nicht mehr für Erstaunen sorgen, dass die Beschränkung des grenzüberschreitenden Handels in der EU (wie z. B. Parallelhandel) im Regelfall kartellrechtswidrig ist und auch in der Praxis zu hohen Bußgeldern führen kann. Dies gilt bei vereinbarten Wettbewerbsbeschränkungen für alle Vertragsparteien, auch wenn die Wahrscheinlichkeit einer Geldbuße für den dominanteren Vertragspartner – wie vorliegend – größer ist. Diese generellen Aussagen mögen weitgehend bekannt sein. Wichtig ist aber, was sie im Geschäftsalltag und beim Abschluss einzelner vertriebsrechtlicher Klauseln bedeuten. Wir zeigen Ihnen daher nachfolgend, mit welchen Klauseln sich die Kommission in dem vorliegenden Fall (die nicht vertrauliche Fassung der Entscheidung ist noch nicht veröffentlicht) auseinandergesetzt hat. Solche oder ähnliche Klauseln sollten aus kartellrechtlicher Sicht nicht vereinbart oder zumindest sehr genau kartellrechtlich geprüft werden.
Schließlich hat sich die Kommission in diesem Fall auch mit einseitigen Verhaltensweisen von dem bebußten Unternehmen beschäftigt, die kartellrechtswidrig sein können. Hierzu gehört insbesondere die Weigerung, einen Händler mit der angefragten Ware (weiterhin) zu beliefern.
Die Kartellrechtsverstöße zur Behinderung des Parallelhandels
Nachfolgend sollen alle von der Kommission festgestellten Kartellrechtsverstöße von dem internationalen Lebensmittelkonzern aufgeführt werden. Dabei wird zwischen vereinbarten (bzw. abgestimmten) Verstößen und solchen, die das Unternehmen einseitig begangen hat, unterschieden.
All diese Kartellrechtsverstöße haben gemeinsam, dass das bebußte Unternehmen dadurch den Parallelhandel mit seinen Produkten unterbinden wollte. Entschließt sich ein Unternehmen, den Parallelhandel zu behindern, so geschieht dies regelmäßig mit der Zielsetzung, die eigenen Preise entlang künstlich errichteter Grenzen in möglichst vielen Mitgliedstaaten hoch halten zu können. Sobald diese künstlichen Grenzen fallen und der Parallelhandel ungehindert stattfinden kann, werden die Hersteller unter dem Druck ihrer Kunden und des Wettbewerbs gezwungen, ihre eigenen Preise abzusenken. Hiervon profitiert letztlich der Endverbraucher dieser Produkte.
Dass auf diese Weise künstlich hoch gehaltene Preise gerade für kleinere Mitgliedstaaten ein Problem sind, dem sich die Kommission verstärkt annehmen will, zeigt auch die im Mai 2024 auf eine Initiative der Benelux-Staaten sowie Dänemarks, Kroatiens, Tschechiens und der Slowakei begonnene Untersuchung der Kommission gegen territoriale Angebotsbeschränkungen.
Vereinbarte (bzw. abgestimmte) Kartellrechtsverstöße
Hervorgehoben wurde von der Kommission, dass der internationale Lebensmittelkonzern im Rahmen von 22 wettbewerbswidrigen Vereinbarungen (bzw. abgestimmten Verhaltensweisen) gegen das Kartellverbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV verstoßen hat. In diesem Zusammenhang können die folgenden – sich teilweise überschneidenden – Arten von Kartellrechtsverstößen genannt werden:
- die Beschränkung von passiven Verkäufen – auch wenn diese nicht pauschal untersagt werden, sondern „lediglich“ unter dem Genehmigungsvorbehalt des Herstellers stehen
- die Beschränkung der Gebiete, in denen ein Großhändler die Produkte weiterverkaufen darf, oder der Kunden, an die er die Produkte weiterverkaufen darf – sei es durch eine Definition dieser Gebiete/dieser Kunden, sei es durch ein explizites Verbot, in bestimmte Gebiete bzw. an bestimmte Kunden zu verkaufen
- die Verpflichtung der Kunden des Herstellers, für ausgeführte Produkte höhere Preise zu verlangen als für Inlandsverkäufe (also ein Doppelpreissystem zur Verhinderung des Parallelhandels)
- eine Verpflichtung von Alleinvertriebshändlern, Verkaufsanfragen von Kunden in anderen Mitgliedstaaten nur nach vorheriger Genehmigung durch den Hersteller zu beantworten
Zu betonen ist in diesem Zusammenhang, dass die vorstehende Liste keinesfalls abschließend ist. Denkbar sind auch weitere kartellrechtswidrige Maßnahmen zur Verhinderung des Parallelhandels wie etwa das Verbot der Teilnahme am Parallelhandel, das gegebenenfalls mit einer Ausgleichzahlung vergütet wird.
Wichtig ist auch, dass es sich bei den vorgenannten vereinbarten Beschränkungen zur Behinderung des Parallelhandels um sog. bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen handelt. Auf die tatsächlichen Auswirkungen der vereinbarten Wettbewerbsbeschränkung kommt es dann nicht mehr an. Theoretisch ist es zwar möglich, auch für solche bezweckten Wettbewerbsbeschränkungen Rechtfertigungsgründe vorzutragen, sie dürften jedoch regelmäßig nicht die strengen Voraussetzungen des Art. 101 Abs. 3 AEUV erfüllen, wonach Wettbewerbsbeschränkungen vom Kartellverbot freigestellt und somit zulässig sein können.
Einseitige Maßnahmen
Nach den Feststellungen der Kommission hat das bebußte Unternehmen auch durch einseitige Maßnahmen gegen das Kartellrecht verstoßen. Konkret wurde ein Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung von dem internationalen Lebensmittelkonzern durch folgende Verhaltensweisen in bestimmten Märkten festgestellt:
- die Weigerung, einen Großhändler in Deutschland zu beliefern, um den Weiterverkauf von Tafelschokolade nach Belgien, Bulgarien, Österreich und Rumänien zu verhindern, wo die Preise der Produkte höher waren
- die Einstellung der Lieferung (sog. Delisting) bestimmter Tafelschokoladen in die Niederlande, um die Einfuhr dieser Produkte nach Belgien zu verhindern, wo das bebußte Unternehmen sie zu höheren Preisen verkaufte
Auch hier ist zu betonen, dass weitere einseitige Maßnahmen zur Behinderung des Parallelhandels unzulässig sein können und bereits anderweitig in der Entscheidungspraxis der Kommission aufgegriffen worden sind. In der Entscheidung AB InBev hat die Kommission insoweit beispielsweise einseitig vorgenommene Beschränkungen der verkauften Mengen oder die Veränderung der Verpackung entgegen nationalen Vorgaben bzw. Vorlieben mit einem Bußgeld belegt.
Abgrenzung vereinbarter (abgestimmter) Verhaltensweisen von einseitigen Verhaltensweisen
Offenbar hatte die Kommission im vorliegenden Fall keine Probleme damit, die vorliegenden Kartellrechtsverstöße entweder als vereinbarte/abgestimmte Verhaltensweisen i. S. v. Art. 101 Abs. 1 AEUV oder als (einseitigen) Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung i. S. v. Art. 102 AEUV zu qualifizieren und so allesamt aufzugreifen. Sollten sich die Vertragspartner im Einzelfall gegen die vereinbarten Wettbewerbsbeschränkungen gewehrt haben, so könnte interessant sein, mit welcher Argumentation die Kommission im Einzelfall dennoch eine vereinbarte bzw. abgestimmte Verhaltensweise i. S. v. Art. 101 Abs. 1 AEUV annehmen konnte. Denn nach der Entscheidungspraxis des EuGH kann ein Protest der Vertragspartner durchaus gegen eine Vereinbarung (bzw. ein abgestimmtes Verhalten) sprechen. Vermutlich wurde die erforderliche Willensübereinstimmung zwischen dem bebußten Unternehmen und seinen Vertragspartnern letztlich angenommen, weil der Hersteller die Mitwirkung der Vertragspartner benötigte, um die Beschränkung des Parallelhandels umsetzen zu können.
Ein (echtes) unilaterales Verhalten von dem mit dem Bußgeld belegten Unternehmen dürfte hingegen im Falle der Lieferverweigerung bzw. der Einstellung der Belieferung zur Behinderung des Parallelhandels vorgelegen haben. Mit dieser Maßnahme dürften sich die betroffenen Händler kaum einverstanden erklärt haben. Zudem konnte das bebußte Unternehmen diese Maßnahmen allein umsetzen.
Soweit einem Hersteller keine marktbeherrschende (oder marktstarke) Stellung zukommt, kann es für Kartellbehörden im Einzelfall nach wie vor eine Herausforderung sein darzulegen, warum die Vertragsparteien eine konkrete Wettbewerbsbeschränkung in ihre vertraglichen Beziehungen einbezogen haben.