Problemstellung und Sachverhalt
Der Aufsichtsrat der betroffenen AG bestand nach der Satzung aus drei Mitgliedern, was der Mindestgröße nach § 95 Abs. 1 Satz 1 AktG entspricht. Dementsprechend war er nur beschlussfähig, wenn drei Mitglieder an der Beschlussfassung teilnahmen.
Eines der drei Mitglieder boykottierte die Arbeit des Aufsichtsrats und dessen Beschlüsse, indem es zu ordnungsgemäß eingeladenen Präsenzsitzungen nicht erschien und auch für virtuelle Sitzungen nicht zur Verfügung stand. Auch Aufforderungen zur Abstimmung im schriftlichen Umlaufverfahren ignorierte es.
Die beiden übrigen Aufsichtsratsmitglieder sowie zwei Vorstände der Aktiengesellschaft beantragten beim Registergericht, gem. § 104 Abs. 1 Satz 1 AktG für die Dauer bis zur Bestellung eines neuen Aufsichtsratsmitglieds durch die Hauptversammlung ein Ersatzaufsichtsratsmitglied für das boykottierende Mitglied zu bestellen. Sie begründeten den Antrag damit, dass das betreffende Aufsichtsratsmitglied die Mitwirkung im Aufsichtsrat verweigere und damit dessen Beschlussunfähigkeit herbeiführe. Nach § 104 Abs. 1 Satz 1 AktG hat das Gericht den Aufsichtsrat auf Antrag des Vorstands, eines Aufsichtsratsmitglieds oder eines Aktionärs auf die zur Beschlussfähigkeit nötige Zahl zu ergänzen, wenn dem Aufsichtsrat keine genügende Anzahl von Mitgliedern angehört. Das für den Antrag zuständige Registergericht in Jena hatte den Antrag zurückgewiesen. Die Beschwerde der Antragsteller beim zuständigen OLG Jena blieb erfolglos.
Die BGH-Entscheidung
Der BGH verwarf in seinem Beschluss vom 09.01.2024 – Az.: II ZB 20/22 (OLG Jena) die Rechtsbeschwerde der Antragsteller. Die Voraussetzungen für eine Ergänzung des Aufsichtsrats lägen nicht vor. Erforderlich sei insoweit das Fehlen einer zur Beschlussfähigkeit erforderlichen Anzahl von Mitgliedern, wobei die rechtliche oder tatsächliche dauerhafte Amtsverhinderung eines Mitglieds dem Fehlen gleichgesetzt werde. Selbst wenn das entsprechende Mitglied die Mitwirkung im Aufsichtsrat boykottiere, liege im konkreten Fall lediglich ein punktueller Interessenkonflikt vor, der einer dauerhaften Verhinderung nicht gleichstehe. Auch eine analoge Anwendung des § 104 Abs. 1 Satz 1 AktG scheide aus. Es fehle schon an einer vergleichbaren Interessenlage zur dauerhaften Verhinderung, da das Boykottverhalten jederzeit beendet werden könne. Zudem könne dem Schutzanliegen des § 104 AktG auf andere Weise als einer analogen Anwendung Rechnung getragen werden. So bestehe grundsätzlich die Möglichkeit, Aufsichtsratsmitglieder gem. § 103 Abs. 1 Satz 1 AktG vor Ablauf ihrer Amtszeit durch die Hauptversammlung abzuberufen. Zudem könne das Gericht auf Antrag des Aufsichtsrats ein Mitglied nach § 103 Abs. 3 Satz 1 AktG abberufen, wenn in dessen Person ein wichtiger Grund vorliege. Ein nachweisbares Boykottverhalten sei ein wichtiger Grund im Sinne der Vorschrift. Ein entsprechender Beschluss könne auch in einem dreiköpfigen Gremium ohne das boykottierende Mitglied mit den Stimmen der beiden anderen Mitglieder wirksam gefasst werden. § 108 Abs. 3 Satz 2 AktG sei bei Vorliegen eines wichtigen Grundes in der Person des dritten Aufsichtsrats teleologisch zu reduzieren.
Praxishinweis
Der BGH hat der Praxis mit dieser klaren Entscheidung einen Weg aufgezeigt, wie ein dreiköpfiger Aufsichtsrat ein boykottierendes Mitglied entfernen kann, indem er den „Restaufsichtsrat“ auch mit zwei Mitgliedern in einem solchen Fall für beschlussfähig erklärt. Die aktiven Mitglieder des Aufsichtsrats können bei Gericht beantragen, ein Mitglied nach § 103 Abs. 3 Satz 1 AktG abzuberufen, wenn in dessen Person ein wichtiger Grund vorliegt, was bei einem nachweisbaren Boykottverhalten der Fall ist. Gänzlich unbekannt ist die „ausnahmsweise“ gegebene Beschlussfähigkeit eines dreiköpfigen Aufsichtsrats durch zwei Mitglieder nicht – der BGH hatte dies für ein vom Stimmrecht ausgeschlossenes Mitglied im Jahr 2007 ähnlich entschieden (BGH, Urteil vom 02.04.2007 – Az.: II ZR 325/05).
Nach der erfolgreichen Abberufung bei nachweisbarem boykottierenden Verhalten können dann Vorstand und Aufsichtsrat (in Ausnahmefällen auch Aktionäre) gem. § 104 Abs.1 Satz 1 AktG die Bestellung eines weiteren Aufsichtsratsmitglieds bei Gericht beantragen, um einen beschlussfähigen dreiköpfigen Aufsichtsrat (wieder)herzustellen. In aller Regel folgt das Gericht in einem solchen Verfahren auch dem Vorschlag des Aufsichtsrats für die Person des weiteren Mitglieds. Es empfiehlt sich, dem Antrag bereits die Zustimmungserklärung der Person für den Fall seiner gerichtlichen Bestellung beizufügen.