Informationsaustausch als abgestimmte Verhaltensweise nach § 1 GWB
Seit Langem ist bekannt, dass der Austausch sensibler Geschäftsinformationen unter Wettbewerbern einen Kartellrechtsverstoß begründen und von Kartellbehörden mit Bußgeldern geahndet werden kann. So hatte das Bundeskartellamt bereits im Jahr 2013 einigen Herstellern von Süßwaren Bußgelder in Millionenhöhe nur deshalb auferlegt, weil sie Informationen zum Stand der Verhandlungen mit gemeinsamen Kunden ausgetauscht hatten. Einer über den Austausch hinausgehenden Absprache zu Preisen, Mengen oder sonstigen Konditionen bedurfte es nicht.
Länger schon geklärt ist ebenfalls, dass ein kartellrechtswidriger Informationsaustausch bereits beim einmaligen Austausch sensibler Geschäftsinformationen vorliegen kann und es zudem auch keinen gegenseitigen Austausch („do ut des“) braucht. Denn bereits die einseitige Herausgabe sensibler Geschäftsinformationen unter Wettbewerbern kann unzulässig sein. Auf ein konkretes, die erhaltenen Informationen berücksichtigendes Marktverhalten des Informationsempfängers kommt es in der Praxis nicht notwendig an. Soweit keine anderslautenden Indizien vorliegen, vermuten Gerichte regelmäßig schlicht, dass die erhaltenen Informationen in der Folge beim Verhalten im geschäftlichen Verkehr berücksichtigt wurden.
Auch wenn all dies keine Neuigkeit ist, zeigen die Reaktionen von Teilnehmenden in Kartellrechtsschulungen regelmäßig eine gewisse Unsicherheit darüber, wann ein unzulässiger Informationsaustausch beginnt und wann er endet. Hinzu kommt, dass gerade im Umgang mit Kunden, Lieferanten und Dritten (z. B. Preisagenturen) substanzielle Risiken bestehen, die den in der Praxis handelnden Personen selten bekannt sind.
Sensible Information ist mehr als nur der zukünftige Preis
Bereits die Botschaft, dass sensible Geschäftsinformationen typischerweise nicht nur aktuelle Preise und Kundenkonditionen sind, sondern weit darüber hinausgehen können, sorgt ab und an für Erstaunen. Insoweit soll hier noch einmal darauf hingewiesen werden, dass es keine abschließende Liste von Informationsarten gibt, die relevant sind (und alle anderen nicht). Sensible Geschäftsinformationen sind im Einzelfall zu bestimmen. Es handelt sich um all diejenigen Informationen, die die Ungewissheit über das jüngste oder künftige Marktverhalten eines Wettbewerbers verringern. Dies wiederum ist naturgemäß nicht nur bei Informationen zu Preisgestaltung und Preisabsichten der Fall, sondern geht weit darüber hinaus. Als insofern besonders sensible Geschäftsinformationen werden typischerweise auch Informationen zu aktuellen und künftigen Produktionskapazitäten eines Unternehmens, zu Kosten, zur geplanten Geschäftsstrategie, zu Nachfrage und Absatz – aktuell und zukünftig – und zu künftig relevanten Produkteigenschaften gezählt.
Informationsaustausch ist überall dort sensibel, wo Wettbewerbsverhältnisse bestehen
Von fundamentaler Bedeutung ist zudem das Verständnis, dass ein unzulässiger Informationsaustausch nicht nur durch Kontakt mit „klassischen“ Wettbewerbern (d. h. aktuelle Wettbewerber auf Vertriebsseite) stattfinden kann. Ein unzulässiger Austausch von Information kann ebenso auf der Beschaffungsseite, d. h. im Einkauf, stattfinden – etwa beim Austausch zu Lieferanten, Einkaufskonditionen, Mengen von Vorprodukten, z. B. Rohstoffen oder Energie. Erst kürzlich hat die Europäische Kommission zudem bekannt gegeben, dass sie mehrere Kartellverfahren gegen Unternehmen wegen vermeintlich kartellrechtswidriger Absprachen im Bereich „Hiring“ von Mitarbeitenden führt (vgl. dazu auch den Newsletter-Artikel von Marcus Mayer Kartellverstöße und Geldbußen im Personalbereich). Dabei geht es offenbar um vermeintliche Vereinbarungen zu Abwerbeverboten oder Gehaltsobergrenzen. Entsprechend kann auch der Austausch von insoweit relevanten Informationen (d. h. aktuelle/künftige Gehaltsbänder, Vergünstigungen und sonstige arbeitsvertragliche Konditionen) zwischen Unternehmen kritisch sein, auch wenn diese in komplett unterschiedlichen Wirtschaftsbereichen tätig sind und sich grundsätzlich nicht als Wettbewerber verstehen.
Informationsaustausch mit Kunden und Lieferanten
Komplex wird das Thema Informationsaustausch in vertikalen Beziehungen, also in einer Lieferanten-Kunden-Beziehung. Zum einen besteht hier die Gefahr eines sogenannten Sternkartells (auch „Hub and Spoke“ genannt). Der Informationsaustausch der Wettbewerber geschieht dabei mittelbar über einen Dritten (oft über einen gemeinsamen Kunden oder Lieferanten). Insofern ist es wichtig zu verstehen, dass auch sensible Informationen, die man von einem gemeinsamen Kunden oder Lieferanten über einen Wettbewerber erhält, kartellrechtlich kritisch sein können. Hier zeigt sich in der Beratungspraxis immer wieder, dass mehr Sensibilität möglich wäre.
Ferner sind Unternehmen oft auf mehreren Wertschöpfungsstufen aktiv. Sie beliefern also Kunden, mit denen sie dann auf der nächsten Wertschöpfungsstufe im Wettbewerb stehen. Mit Blick auf diese Konstellationen hat die Europäische Kommission zuletzt in ihren 2022 überarbeiteten Horizontalleitlinien noch einmal klargestellt, dass sich im Lieferanten-Kundenverhältnis die Kommunikation der Parteien auf das erforderliche Maß beschränken muss. Das Gleiche dürfte auch mit Blick auf den gesetzlich bestimmten Informationsaustausch entlang der Lieferkette (z. B. nach dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz) gelten. Zudem empfehlen Kartellbehörden regelmäßig, dass die über den Wettbewerber erhaltenen Informationen beim Lieferanten isoliert behandelt werden und nicht an die Unternehmensbereiche weitergeleitet werden, die auf der folgenden Wertschöpfungsstufe im Wettbewerb mit dem Kunden tätig sind.
Informationsaustausch mit „neutralen“ Dritten
Schließlich gewinnt die Rolle „neutraler“ Dritter im Rahmen des kartellrechtlich relevanten Informationsaustauschs mehr und mehr an Bedeutung. So gibt es Dienstleister, die in regelmäßigen Abständen nach wiederkehrenden Mustern in diversen Wirtschaftsbereichen Unternehmen zu Preisen, Kosten, Erwartungen zur Marktentwicklung usw. befragen, diese Informationen dann zusammentragen, verarbeiten und den Teilnehmenden der Befragung und/oder Dritten zur Verfügung stellen. Dieses Vorgehen muss, um kartellrechtlich unkritisch zu sein, natürlich den kartellrechtlichen Vorgaben an Marktinformationssysteme genügen. Darüber hinaus ist es ebenso wichtig, dass der Dienstleister im Rahmen der regelmäßigen bilateralen Kommunikation keine Informationen zu den Angaben der jeweiligen Wettbewerber weitergibt und nach diesen Informationen auch nicht um Auskunft gebeten wird. Andernfalls droht auch hier das Entstehen eines mittelbaren Austauschs sensibler Geschäftsinformationen („Sternkartell“).
Fazit
Das Thema „kartellrechtlicher Informationsaustausch“ ist zwar allerorts bekannt, es wird gleichwohl oft in Unternehmen nicht ausreichend beherrscht. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass es häufig deutlich komplexer ist als gedacht. Dies gilt sowohl im unmittelbaren Umgang mit Wettbewerbern als auch bei der Weitergabe von sensiblen Geschäftsinformationen an „neutrale“ Dritte. Kartellbehörden haben das Thema schon länger auf der Agenda und es drohen auch hier jeweils hohe Bußgelder. Es empfiehlt sich daher, sich mit den Mitarbeitenden in den betroffenen Bereichen regelmäßig ein Bild über die bestehenden Risiken zu machen und Hinweise zum richtigen Umgang zu geben.
Kontaktperson: Hubertus Kleene