Mann jubelt beim Pferderennen

Klagewelle im Bereich Sportwetten erwartet: Verhindert ein maltesisches Gesetz die Vollstreckung deutscher Urteile?


Derzeit laufen bereits Tausende Klagen gegen Sportwettenanbieter wegen Rückzahlungen von Spieleinsätzen. Die rechtliche Auseinandersetzung konzentriert sich gegenwärtig mit Blick auf einen Hinweisbeschluss des BGH vom 22.03.2024 (Az.: I ZR 88/23) auf Sportwetten, die vor Juli 2021 platziert wurden, als die Anbieter noch in einer rechtlichen Grauzone operierten. In einem weiteren BGH-Verfahren, dass am 27. Juni 2024 verhandelt wird, ist erstmals auch mit einem zusprechenden Urteil zu rechnen (Az.: I ZR 90/23). Branchenexperten erwarten angesichts dieser positiven Indikationen eine regelrechte Klagewelle, die dem Ausmaß nach mit dem Dieselskandal vergleichbar sein soll. Die potenziellen Rückzahlungsansprüche dürften im mittleren Milliardenbereich liegen.

Allerdings haben Glücksspielanbieter ihren Sitz nicht selten im europäischen Ausland. Einzelne Mitgliedsstaaten scheinen seit einiger Zeit darum bemüht zu sein, die halbseidenen Geschäftsmodelle und damit einhergehend ihr Steuersubstrat durch nationales Recht zu schützen, indem sie die Vollstreckung ausländischer Gerichtsurteile erschweren. Besonders problematisch ist die Situation in Malta, wo ein noch junges Gesetz, bekannt als Bill No. 55, die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile explizit ausschließt.

Glücksspielverträge sind nach deutschem Recht nichtig

Nachdem das Glücksspielmonopol in Deutschland durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 2006 gekippt wurde, entwickelte sich insbesondere der Markt für Sportwetten zu einem äußerst lukrativen Sektor. Dabei missachteten einige Sportwettenanbieter allerdings die in Deutschland geltenden regulatorischen Anforderungen. Sie operierten ohne die notwendige Erlaubnis zur Veranstaltung von Sportwetten nach dem Glücksspielstaatsvertrag (GlüStV) in der Fassung von 2012 und hielten sich wohl bewusst auch nicht an die Voraussetzungen für eine Konzession, etwa die Begrenzung des Höchsteinsatzes je Spieler auf 1.000 Euro im Monat. Dies könnte für die betreffenden Sportwettenanbieter nun teuer werden. Zwar konnte eine Grundsatzentscheidung des BGH durch die Sportwettenanbieter bislang noch vermieden werden, weil sie Kläger wiederholt buchstäblich in letzter Sekunde schadlos gestellt hatten; in seinem Hinweisbeschluss vom 22.03.2024 hat der BGH nun aber im Einzelnen dargelegt, dass Verträge zwischen Sportwettenanbietern und Spielern, die vor Juli 2021 geschlossen wurden, in vielen Fällen nichtig sein dürften. Die Spieler hätten demnach gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB einen Anspruch auf Rückzahlung ihrer verlorenen Wetteinsätze. Diese Ansprüche dürften in vielen Fällen auch nicht verjährt sein. In Fällen unerlaubter Handlung kommt § 852 BGB zur Anwendung, wonach die Ansprüche innerhalb von zehn Jahren ab ihrer Entstehung, also dem verlorenen Wetteinsatz, verjähren. Zwar wurde eine rechtskräftige Entscheidung durch Rücknahme der Revision durch den Sportwettenanbieter abermals verhindert. Prozessbeobachter gehen aber davon aus, dass die wesentlichen Rechtsfragen in dem Parallelverfahren noch im Spätsommer rechtskräftig entschieden werden.

Schon heute klagen mehrere Tausend Spieler auf Rückzahlung ihrer verlorenen Wetteinsätze. Rund 2.000 Fälle vertritt allein die Gamesright GmbH, die eins der größten Portale in Deutschland auf der Suche nach geschädigten Spielern betreibt. Der höchste bekannte Einzelstreitwert liegt bei rund einer halben Million Euro. Es ist davon auszugehen, dass dies nur die Spitze des Eisbergs ist und viele weitere Spieler auf den Zug aufspringen werden. Allein bei Sportwetten lagen die Bruttospielerträge in Deutschland im Jahr 2022 bei rund 1,4 Milliarden Euro (Quelle: Glücksspielatlas 2023, Seite 46). Bekannte Klägerkanzleien buhlen seit Monaten massiv um geschädigte Spieler.

Unionsrechtliche Brisanz

In der Diskussion weitgehend unbeachtet geblieben ist bislang allerdings ein Problem, das mit der Zahl zu sprechender Urteile an Brisanz gewinnen wird. Denn viele Sportwettenanbieter haben ihren Sitz im Ausland, darunter Gibraltar, Zypern und Malta. Die Herausforderung könnte darin bestehen, dem Recht durch erfolgreiche Vollstreckung auch Geltung zu verschaffen.

Zwar ist die Vollstreckung deutscher Urteile in Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Regelfall nach der Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO) gewährleistet. Die EuGVVO zielt mit einer Art Freizügigkeit von Gerichtsentscheidungen darauf, einen rechtssicheren und effizienten EU-Binnenmarkt sicherzustellen. Einzelne Mitgliedstaaten haben aber offensichtlich ein Interesse daran, ihre Attraktivität als Standort für ebenso zwielichtige wie lukrative Geschäftsmodelle zu erhöhen.

Besonders unrühmlich hervorgetan hat sich hier zuletzt Malta. Mit dem am 16.06.2023 eingeführten Gaming Amendment Act, bekannt als Bill No. 55, will Malta seine lieb gewonnene Glücksspielindustrie vor etwaigen Inanspruchnahmen schützen, indem es die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen aus dem EU-Ausland als unzulässig erachtet, wenn die betreffenden Glücksspielanbieter über eine Glücksspielerlaubnis nach maltesischem Recht verfügen. Die Gesetzesbegründung rechtfertigt dies mit Art. 18 der maltesischen Verfassung, wonach der Staat das freie Unternehmertum zu fördern habe.

Erhebliche Zweifel an Konformität mit Unionsrecht

Die Bill No. 55 steht in einem offenen Widerspruch zur EuGVVO und der darin kodifizierten Urteilsfreizügigkeit.

Zwar sieht die EuGVVO vor, dass Mitgliedstaaten die Anerkennung ausländischer Urteile unter bestimmten Voraussetzungen verweigern dürfen. So besagt etwa der sogenannte Ordre-Public-Vorbehalt, dass ein Urteil aus dem EU-Ausland nicht vollstreckt werden muss, wenn die Anerkennung des Urteils grundlegenden Prinzipien des nationalen Rechts widerspricht. Dieser Vorbehalt fußt auf dem Gedanken, die inländische öffentliche Ordnung und wichtige rechtliche oder moralische Prinzipien eines Landes im besten Sinne eines demokratischen Rechtsstaates zu schützen. Nach bisher allgemeiner Auffassung ist der Ordre-Public-Vorbehalt entsprechend restriktiv anzuwenden. Ob das Rechtsinstitut dazu missbraucht werden darf, absichtlich und im Einzelfall ein rechtliches Schlupfloch für zweifelhafte Geschäftsmodelle zu schaffen, um einseitig nationale Wirtschaftsinteressen zu schützen und die gerichtliche Zusammenarbeit und den Rechtsraum innerhalb der EU zu untergraben, ist nicht überzeugend.

Sollte das Beispiel von Malta Schule machen, könnte dies die Möglichkeit der Rechtsdurchsetzung innerhalb der EU ernsthaft und nachhaltig schwächen. Nicht weniger als die Wirkmächtigkeit des EU-Rechtssystems steht auf dem Spiel, weil die Bill No. 55 möglicherweise einen Präzedenzfall schafft, bei dem sich ein Mitgliedstaat offen den grundlegenden Prinzipien der gegenseitigen Anerkennung und Vollstreckung von Gerichtsentscheidungen widersetzt. Sollten weitere Mitgliedstaaten ähnliche Gesetze erlassen, um ihre wirtschaftlichen Interessen zu verfolgen, droht eine Fragmentierung des Rechtsraums innerhalb der EU, was die finale Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes gefährden würde.

Zwar hat sich der Europäische Gerichtshof zur Reichweite und zu den Grenzen des Ordre-Public-Vorbehalts bisher noch nicht positioniert, Gelegenheit dazu erhält er aber womöglich schon bald. Unter dem Aktenzeichen C-440/23 ist seit Juli 2023 ein sog. Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV anhängig, das unter anderem das Spannungsverhältnis zwischen maltesischen Spielangeboten und deutscher Regulatorik zum Gegenstand hat.

Fazit

Die Bill No. 55 steht unseres Erachtens in scharfem Widerspruch zu dem in Art. 81 Abs. 1 AEUV ausgegebenen Ziel, eine Zusammenarbeit der Justiz der Mitgliedstaaten im Sinne des Binnenmarktes zu fördern. Durch das willkürliche Ausklammern von Urteilen, die gegen in Malta ansässige Glücksspielanbieter gerichtet sind, könnte Malta zu einer Rechtsstaatsoase für Sportwettenanbieter werden. Sollte die Bill No. 55 nicht vom Europäischen Gerichtshof kassiert werden, drohen katastrophale Folgen für die Rechtsdurchsetzung innerhalb der EU. Eine solche Entwicklung könnte zudem einen Präzedenzfall schaffen, der die rechtliche Kooperation und das Vertrauen in die Durchsetzung von Recht innerhalb der EU erheblich schwächt. Dem muss Einhalt geboten werden.

Für die effiziente und effektive Geltendmachung und Durchsetzung von Ansprüchen in grenzüberschreitenden Fällen stehen wir Ihnen jederzeit gern mit einem langjährig erfahrenen Team zur Seite.

Kontaktpersonen: Alexander Schmiegel, LL.M.Nils Christian Scholl