Sachverhalt
In der Sache ging es um eine in der Immobilienentwicklung tätige GmbH (Klägerin), die, vertreten durch ihren Geschäftsführer, ein Grundstück an die Beklagte veräußerte und in diesem Zuge für die Beklagte eine Auflassungsvormerkung eintragen ließ. Zwei Tage vor der Veräußerung wurde der Geschäftsführer der Klägerin durch einen Gesellschafterbeschluss mit der Mehrheit der Stimmen der Gesellschafterversammlung abberufen. Von dem Beschluss über die Abberufung des Geschäftsführers hatte die Beklagte Kenntnis. Darüber hinaus erhielt sie Informationen über bestehende gesellschaftsinterne Differenzen hinsichtlich der Wirksamkeit des Abberufungsbeschlusses.
Die Klägerin verfolgte gerichtlich das Ziel, die Beklagte auf Zustimmung zur Löschung der eingetragenen Vormerkung zu verpflichten. Diese wiederum sah die Veräußerung des Grundstücks durch den (vermeintlich) abberufenen Geschäftsführer und die Eintragung der Auflassungsvormerkung als rechtmäßig an. Sie erachtete sich als durch § 15 Abs. 1 HGB geschützt.
Rechtliche Ausführungen
Der BGH ging in seiner Entscheidung von der Rechtmäßigkeit der Abberufung des Geschäftsführers aus. Die organschaftliche Vertretungsmacht des Geschäftsführers ergibt sich aus seiner Stellung als Geschäftsführer, sodass im Zeitpunkt des Grundstückserwerbsgeschäfts keine Vertretungsmacht mehr bestand. Dies hat zur Folge, dass die GmbH vorliegend nur über den Rechtsschein des § 15 Abs. 1 HGB wirksam vertreten werden konnte. Ein Rechtsschein liegt vor, wenn Tatsachen die Annahme begründen, dass ein Sachverhalt in einer gewissen Gestaltung vorliegt, dieser aber nicht den tatsächlichen Gegebenheiten entspricht. Es besteht lediglich ein Anschein. Im Rahmen von § 15 Abs. 1 HGB rührt der Rechtsschein aus der Nichteintragung und/oder Nichtbekanntmachung einer in das Handelsregister einzutragenden Tatsache (Kneisel, JA 2010, 337, 340). Schweigt das Handelsregister, darf der Rechtsverkehr darauf vertrauen, dass zwischenzeitlich keine eintragungspflichtigen Vorgänge erfolgt sind (Hopt/Merkt, 43. Aufl. 2024, HGB § 15 Rn. 1; Ebenroth/Boujong/Gehrlein, 5. Aufl. 2024, HGB § 15 Rn. 5; Koller/Kindler/Drüen/Roth/Stelmaszczyk, 10. Aufl. 2023, HGB § 15 Rn. 5).
Die Bestellung wie auch die Abberufung eines Geschäftsführers sind gemäß § 39 Abs. 1 Fall 2 GmbHG solche eintragungspflichtigen Tatsachen. Zum Zeitpunkt der Grundstücksveräußerung war die Abberufung des handelnden Geschäftsführers noch nicht im zuständigen Handelsregister eingetragen. § 15 Abs. 1 HGB findet damit grundsätzlich Anwendung.
In § 15 Abs. 1 HGB heißt es: „Solange eine in das Handelsregister einzutragende Tatsache nicht eingetragen und bekanntgemacht ist, kann sie von demjenigen, in dessen Angelegenheiten sie einzutragen war, einem Dritten nicht entgegengesetzt werden, es sei denn, daß sie diesem bekannt war“.
§ 15 Abs. 1 HGB statuiert damit eine abstrakte Rechtsscheinhaftung. Abstrakt daher, da das Handelsregister das Vertrauen Dritter im Rechtsverkehr unabhängig von der Tatsache schützt, ob es tatsächlich von ihnen eingesehen wurde (Kneisel, JA 2010, 337, 339). Gleichzeitig setzt § 15 Abs. 1 HGB für den Eintragungspflichtigen den Anreiz, seine Angelegenheiten ordnungsgemäß und unmittelbar zum Handelsregister anzumelden. Der Eintragungspflichtige kann sich gegenüber Dritten nur auf das Handelsregister berufen, wenn die jeweils eintragungspflichtige Tatsache auch dort eingetragen war. Es entfaltet somit eine negative Publizitätswirkung (Ebenroth/Boujong/Gehrlein, 5. Aufl. 2024, HGB § 15 Rn. 2a, 5; Oetker/Preuß, 8. Aufl. 2024, HGB § 15 Rn. 13; Koller/Kindler/Drüen/Roth/Stelmaszczyk, 10. Aufl. 2023, HGB § 15 Rn. 1, 5). Diese Wirkung ist vom Gesetzgeber bewusst gewollt und soll die ordnungsgemäße, vollständige und gewissenhafte Führung des Handelsregisters fördern. Verstreicht zwischen der Entstehung der eintragungspflichtigen Tatsache und dem rechtsgeschäftlichen Vorgang ein längerer Zeitraum, führt dies nicht zur Entstehung einer Erkundigungsobliegenheit des Dritten (siehe: BGH, Urteil vom 09.01.2024, WM 2024, 509, [511] Rn. 32). Dritte müssen gerade nicht pauschal Nachforschungen betreiben.
Hat die Klägerin, wie im konkreten Fall, die Abberufung des Geschäftsführers bei Vertragsschluss noch nicht zum Handelsregister angemeldet und/oder ist diese noch nicht bekannt gemacht, kann sich die Gesellschaft nicht gegenüber Dritten auf die Abberufung berufen. Dementsprechend durfte die Grundstückserwerberin vorliegend davon ausgehen, dass der Geschäftsführer bei Vertragsschluss für die GmbH vertretungsberechtigt war. § 15 Abs. 1 HGB führt damit dazu, dass die Klägerin so zu behandeln ist, als sei sie wirksam vertreten worden. Eine rechtliche Bindung fand statt. Grundlage der rechtlichen Wertung ist der Schutz des Rechtsverkehrs.
Falls ein Dritter allerdings positive Kenntnis von der Unrichtigkeit einer eingetragenen Tatsache hat, kann er sich – mangels Schutzwürdigkeit – nicht auf die unrichtige Eintragung berufen. § 15 Abs. 1 HGB findet damit seine Grenzen in der positiven Kenntnis (Hopt/Merkt, 43. Aufl. 2024, HGB § 15 Rn. 7). Unter positiver Kenntnis verstehen Gerichte grundsätzlich das zweifelsfreie, wirkliche Kennen von Umständen. Positive Kenntnis liegt nicht bereits beim Kennenmüssen oder bei grob fahrlässiger Unkenntnis vor (BGH, Urteil vom 09.01.2024, WM 2024, 509, [511] Rn. 28; BeckOGK/Kögl, 01.01.2024, BGB § 640 Rn. 229 f.; BeckOGK/Schaal, 15.09.2019, HGB § 15 Rn. 51).
Von einem Kennenmüssen ist die Rede, wenn der sich auf die eintragungspflichtige Tatsache berufende Dritte seine Informationsobliegenheit, also die Pflicht zur Ermittlung von Umständen, verletzt hat und die Unkenntnis aus dieser Verletzung resultiert. Mithin hätte der Dritte von dem relevanten Umstand wissen können und sogar müssen, tat dies allerdings tatsächlich nicht (BeckOGK/Ulrici, 01.11.2023, BGB § 179 Rn. 71 ff.).
Dagegen handelt grob fahrlässig, wer die im Verkehr gebotene erforderliche Sorgfalt in einem derart großen Maß außer Acht lässt, dass er dasjenige unbeachtet lässt, was hätte jedem einleuchten müssen (MüKoBGB/Oechsler, 9. Aufl. 2023, BGB § 932 Rn. 48).
In welchen Fällen ist nun aber von positiver Kenntnis auszugehen und wann kann diese angenommen werden?
Der BGH führt an, dass für die Feststellung der positiven Kenntnis auf die Umstände des Einzelfall s abzustellen ist. Legen die konkreten Umstände nahe, dass der Dritte von den jeweiligen Gegebenheiten weiß, aus denen sich zwingend die Kenntnis über die Unrichtigkeit der eingetragenen Tatsache ergibt, ist von positiver Kenntnis auszugehen. Die dahin gehende Beweislast trägt der Eintragungspflichtige (siehe BGH, Urteil vom 09.01.2024, WM 2024, 509, [511]).
Der BGH hatte zu beurteilen, ob die Kenntnis der Beklagten über den Abberufungsbeschluss des handelnden Geschäftsführers einer positiven Kenntnis über das Nichtbestehen der Vertretungsmacht gleichkam. Wäre dies der Fall, könnte sich die Beklagte nicht auf § 15 Abs. 1 HGB berufen.
Zwar wäre es denkbar und auch möglich, von der Kenntnis über einen Abberufungsbeschluss auf die positive Kenntnis über die Unrichtigkeit der einzutragenden Tatsache zu schließen, ein derartiges Ergebnis ist allerdings nicht zwingend. Das Wissen über einen Abberufungsbeschluss müsste vielmehr dazu geeignet sein, zweifelsfrei zum Schluss der Unrichtigkeit der eintragungspflichtigen Tatsache zu führen. Ob ein derartiger unweigerlicher Gedankenschluss und damit positive Kenntnis anzunehmen ist, ist durch Einbeziehung der konkreten Umstände zu ermitteln (BGH, Urteil vom 09.01.2024, WM 2024, 509, [511] Rn. 30; BeckOGK/Schaal, 15.9.2019, HGB § 15 Rn. 51; vgl. OLG Oldenburg ZIP 2011, 175).
Laut BGH lassen Zweifel an der Wirksamkeit der kundgemachten Abberufung einen solchen Gedankenschluss gerade nicht zu. Zweifel können sich aus einer Mitteilung des Geschäftsführers, sich gerichtlich gegen die Abberufung zur Wehr zu setzen bzw. zur Wehr setzen zu wollen, ergeben. Darüber hinaus sind Kenntnisse über Streitigkeiten und Meinungsverschiedenheiten über die Wirksamkeit der Abberufung zwischen den Gesellschaftern ebenfalls geeignet, eine positive Kenntnis abzulehnen (BGH, Urteil vom 09.01.2024, WM 2024, 509, [511] Rn. 30).
Grund dafür ist, dass bei Kenntniserlangung derartiger Sachlagen Zweifel an der einzutragenden Tatsache entstehen. Für den Rechtsverkehr steht nicht gesichert fest, ob es zu einer ordnungsgemäßen Abberufung des Geschäftsführers gekommen ist oder nicht. Eine rechtliche Wertung fällt schwer, da gesellschaftsinterne Vorgänge in der Regel nicht einsehbar sind. Die Sachlage stellt sich als nicht eindeutig dar, die Aussagekraft der erlangten Information wird für den Rechtsverkehr entwertet. Dieser Umstand muss bei der Beurteilung der positiven Kenntnis berücksichtigt werden. Werden mit der Kenntnis über die Abberufung gleichzeitig Umstände bekannt, die die Wirksamkeit und den Bestand der Abberufung des Geschäftsführers zweifelhaft erscheinen lassen, liegt somit gerade keine positive Kenntnis vor.
Mithin entschied der BGH vorliegend folgerichtig, dass sich die Beklagte grundsätzlich auf den Rechtsschein des § 15 Abs. 1 HGB berufen kann.
Letztlich wurde das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Grund dafür war die mangelnde Entscheidungsreife. In der Sache war unklar, inwiefern ein Hinweis des Notars bzgl. der Entbehrlichkeit eines Gesellschafterbeschlusses vorgelegen hat. Sollte sich herausstellen, dass der rechtliche Hinweis seitens des Notars nicht ergangen ist, hätte sich die Beschlussnotwendigkeit für die Beklagte aufdrängen müssen. Sie kann sich dann nicht auf die Annahme einer wirksamen Vertretung berufen.