Hintergrund
Während ein in einer Kanzlei tätiger Rechtsanwalt in der Regel für eine Vielzahl von Mandanten arbeitet, ist der Syndikusanwalt bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber wie z. B. einem Unternehmen, einem Verband oder einer Stiftung anwaltlich tätig.
Seit dem 01.01.2016 ist das Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte in Kraft getreten. Seither können Syndikusanwälte zur Rechtsanwaltschaft zugelassen werden. Mit der Zulassung einher geht die Möglichkeit der Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zugunsten der Mitgliedschaft in einem der Versorgungswerke der Rechtsanwälte.
Die aktuellen Entscheidungen des BSG
Am 19.09.2024 urteilte das BSG darüber, ob eine von der Deutschen Rentenversicherung (DRV) bereits erteilte bestehende Befreiung für eine Rechtsanwältin auch nach einem Wechsel des Arbeitgebers weiterhin Gültigkeit besitzt. Zudem befasste sich das Gericht in einer weiteren Entscheidung mit der Interpretation der Regelungen zur rückwirkenden Befreiung.
1. Fortgeltung von Altbescheiden
Im ersten Fall ging es um die seit vielen Jahren diskutierte Gültigkeit sogenannter Altbescheide, die Anwälte von der Pflichtversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung zugunsten der Mitgliedschaft in einem der anwaltlichen Versorgungswerke befreiten. Diese Bescheide waren früher weit gefasst und schienen auch bei einem Arbeitgeberwechsel Bestand zu haben, solange die Zulassung als Rechtsanwalt und die Pflichtmitgliedschaft im Versorgungswerk fortbestanden. Die Landessozialgerichte (LSG) haben jedoch die Meinung vertreten, dass die Bescheide ihre Gültigkeit mit dem Arbeitgeberwechsel verlieren und die Rechtsanwälte eine neue Befreiung beantragen müssen. Das BSG hat diese Sichtweise nun klar bestätigt (Urteil vom 19.09.2024, Az.: B 12 R 6/22 R).
Sachverhalt
Im zugrunde liegenden Fall hatte die DRV eine bei einem Verband angestellte Anwältin ab dem 01.10.2003 von der Versicherungspflicht befreit. Der Bescheid enthielt die damals übliche Formulierung: „Auf Ihren Antrag werden Sie von der Versicherungspflicht zur Rentenversicherung der Angestellten befreit. […] Die Befreiung gilt für die oben genannte und weitere berufsspezifische Beschäftigungen/Tätigkeiten, solange hierfür eine Pflichtmitgliedschaft in der berufsständischen Versorgungseinrichtung unter Beibehaltung der Pflichtmitgliedschaft in der Berufskammer besteht und solange Versorgungsabgaben beziehungsweise Beiträge in gleicher Höhe geleistet werden, wie ohne die Befreiung zur gesetzlichen Rentenversicherung zu zahlen wären.“ Als berufsspezifische Beschäftigung nannte der Bescheid eine Tätigkeit als „Rechtsanwältin“.
Zum 01.07.2007 wechselte die Anwältin zu einem neuen Arbeitgeber. Anlässlich einer Betriebsprüfung meldete dieser die Anwältin ab Januar 2015 als versicherungspflichtig in der gesetzlichen Rentenversicherung an und entrichtete Pflichtbeiträge an die DRV. Die Anwältin beantragte daraufhin erfolglos bei der DRV die Feststellung, dass die im früheren Bescheid ausgesprochene Befreiung von der Rentenversicherungspflicht als „Rechtsanwältin“ auch die ab dem 01.07.2007 von ihr ausgeübte Beschäftigung umfasse. Sowohl das Sozialgericht (SG) Köln als auch das LSG Nordrhein-Westfalen wiesen ihre anschließende Klage auf Fortgeltung der im früheren Bescheid ausgesprochenen Befreiung von der Rentenversicherungspflicht ab. Der Bescheid habe sich mit dem Wechsel der Beschäftigung erledigt. Die Passage des Bescheids, der sich auf die Fortgeltung der Befreiung für weitere berufsspezifische Tätigkeiten bezog, wurde lediglich als unverbindlicher Hinweis und nicht als rechtskräftiger Verwaltungsakt eingestuft.
Entscheidung
Das BSG hat nun diese Rechtsauffassung bestätigt und präzisiert, dass der Beginn der Pflichtmitgliedschaft in der berufsständischen Versorgungseinrichtung und der Berufskammer im Bescheid individuell festgelegt worden sei. Die Befreiung von der Versicherungspflicht sei somit auf der Basis des damaligen Arbeitsverhältnisses und des darauf bezogenen spezifischen Antrags gewährt worden. Daraus folge, dass die Befreiung nicht generell für die Berufsausübung als „Rechtsanwältin“ gelte, sondern sich auf das konkrete Beschäftigungsverhältnis bezogen habe. Mit dem Ende des damaligen Arbeitsverhältnisses habe der frühere Bescheid seine Gültigkeit verloren. Er könne auch nicht dahin gehend interpretiert werden, dass sich die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht auch auf eine neue Anstellung als Anwältin bei einem anderen Arbeitgeber erstreckte.
2. Rückwirkende Befreiung ohne Zulassung als Rechtsanwalt
Mit seinen Urteilen vom 03.04.2014 hatte das BSG festgestellt, dass Anwälte, die bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber tätig sind, nicht von der Versicherungspflicht befreit werden können. Der Gesetzgeber reagierte daraufhin und schuf mit dem eingangs genannten Gesetz nicht nur die Rolle des Syndikusrechtsanwalts, sondern in § 231 Abs. 4b SGB VI auch eine komplexe Regelung für die rückwirkende Befreiung in einem solchen Fall.
Das BSG hat nunmehr ebenfalls am 19.09.2024 in einem anderen Verfahren über die rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht entschieden.
Sachverhalt
Im zugrunde liegenden Fall war ein Jurist nach dem erfolgreichen Abschluss seines zweiten juristischen Staatsexamens seit dem 01.11.2014 bei einem Arbeitgeberverband versicherungspflichtig beschäftigt. Anfangs stellte er keinen Antrag auf Zulassung als Rechtsanwalt. Am 29.03.2016 reichte er dann, entsprechend der gesetzlichen Neuregelung, seinen Antrag auf Zulassung als Syndikusrechtsanwalt ein. Gleichzeitig ersuchte er bei der DRV um Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht und um die auch rückwirkende Anerkennung dieser Befreiung.
Die zuständige Rechtsanwaltskammer erteilte ihm die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt. Die DRV befreite ihn zwar von der laufenden Versicherungspflicht, verweigerte jedoch die Anerkennung der Befreiung für die Vergangenheit. Sie begründete dies damit, dass er als Syndikusanwalt erst ab dem 17.11.2016 als Pflichtmitglied im zugehörigen Versorgungswerk registriert gewesen und eine solche Mitgliedschaft eine notwendige Bedingung für die rückwirkende Befreiung sei, selbst wenn dies nicht explizit in § 231 Abs. 4b SGB VI festgehalten sei. Das SG Lübeck hat die Entscheidungen der DRV aufgehoben und diese verpflichtet, den Kläger rückwirkend von der Versicherungspflicht zu befreien. Das LSG Schleswig-Holstein hat die Klage jedoch mit dem Argument abgewiesen, dass es an einer durchgehenden Pflichtmitgliedschaft fehle.
Entscheidung
Das BSG hat die Entscheidung des LSG nicht bestätigt und mit Urteil vom 19.09.2024 (Az.: B 12 R 3/22 R) die rückwirkende Befreiung des Klägers ab dem 01.11.2014 ausgesprochen. In diesem Zusammenhang hat das BSG klargestellt, wie die Vorschrift des § 231 Abs. 4b Satz 1 SGB VI zu verstehen ist: Eine rückwirkende Befreiung sei auch dann zu gewähren, wenn der Antragsteller vor der Zulassung als Syndikusrechtsanwalt nicht als Rechtsanwalt zugelassen war und auch kein Pflichtmitglied im Versorgungswerk war. Das Gericht hat sich dabei auf den klaren Wortlaut der Vorschrift und auch auf die Absicht des Gesetzgebers gestützt, Doppelmitgliedschaften und Lücken in den Versicherungsbiografien zu vermeiden.
Fazit
Mit seinen Entscheidungen hat das BSG endgültig klargestellt, dass Befreiungsbescheide für Rechtsanwälte aus der Vergangenheit ihre Wirksamkeit verlieren, sobald ein Wechsel des Arbeitgebers stattfindet. Auch wenn es noch viele Fälle gibt, in denen trotz eines Wechsels der beruflichen Tätigkeit Beiträge an das Versorgungswerk entrichtet werden, können sich in Zukunft weder Arbeitgeber noch die Rechtsanwälte auf die alten Befreiungsbescheide berufen.
Ergänzend zu den Entscheidungen des BSG gilt aus Sicht der DRV eine Befreiung von der Versicherungsplicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nur für eine konkrete Beschäftigung bei einem bestimmten Arbeitgeber, sodass auch bei einer wesentlichen Änderung der Tätigkeit eine bereits erteilte Befreiung ihre Wirkung verliert und ein neues Befreiungsverfahren erforderlich ist.
Trotz der aktuellen Entscheidung des BSG zur Rückwirkung sind noch nicht alle Fragen zur Auslegung von § 231 Abs. 4b SGB VI gelöst. Es gibt weiterhin Diskussionen, insbesondere über die Auffassung der DRV, dass Satz 2 der Vorschrift keine Befreiung für Tätigkeiten ermögliche, die vor der Zulassung als Syndikusrechtsanwalt geendet haben, für die aber eine Pflichtmitgliedschaft bestanden habe.