Einleitung
Im Falle der Insolvenz einer Gesellschaft sieht das deutsche Recht für die Behandlung von Gesellschafterdarlehen bestimmte Sonderregelungen vor, die ihren Grund in der Nähe der Gesellschafter zu ihren Gesellschaften und den regelmäßig eigenkapitalähnlichen Finanzierungswirkungen solcher Darlehen finden. Diese seit langer Zeit bewährten Sonderregelungen stehen hinsichtlich der Reichweite ihrer praktischen Anwendung vor ungewissen Aussichten, wie eine kürzlich vom BGH ersuchte Vorabentscheidung beim EuGH zeigt. Kern der Fragen, die der IX. Zivilsenat des BGH mit Beschluss vom 16.01.2025 – Az.: IX ZR 229/23 zur Vorabentscheidung beim EuGH eingereicht hat, betreffen die Auslegung der Vorschriften der Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.05.2015 über Insolvenzverfahren (EUInsVO), insbesondere welches Recht auf grenzüberschreitende Gesellschafterdarlehen in der Insolvenz einer Gesellschaft mit Sitz in Deutschland anzuwenden ist.
Hintergrund
Dem Beschluss des BGH liegt ein Fall zugrunde, in dem ein Gesellschafter mit Sitz in Österreich seiner Gesellschaft mit Sitz in Deutschland ein Darlehen gewährt und darauf innerhalb des letzten Jahres vor Insolvenzantrag der Gesellschaft Rückzahlungen erhalten hatte. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens verklagte der Gesellschafter den Insolvenzverwalter auf erstrangige Feststellung seiner noch offenen Darlehensrückzahlungsforderung zur Insolvenztabelle, der Insolvenzverwalter nahm den Gesellschafter widerklagend auf Herausgabe der innerhalb des letzten Jahres vor Insolvenzantragstellung erhaltenen Darlehensrückzahlung in Anspruch.
Nach deutschem Recht wäre der Fall klar: Zahlungen einer Gesellschaft an ihren Gesellschafter zur Tilgung von Darlehen sind nach deutschem Recht anfechtbar, wenn die Zahlungen innerhalb eines Jahres vor dem Antrag auf Insolvenzeröffnung erfolgt sind und müssen vom Gesellschafter an die Insolvenzmasse zurückgeführt werden, § 135 Abs. 1 Nr. 2, § 143 Abs. 1 Insolvenzordnung (InsO). Außerdem sind Darlehensrückzahlungsansprüche der Gesellschafter in der Insolvenz der Gesellschaft nachrangig gegenüber den sonstigen Insolvenzforderungen, § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO. Die Nachrangigkeit einer Forderung führt regelmäßig dazu, dass im Ergebnis ein Gesellschafter keine Quotenzahlung auf seine Darlehensforderung aus der Insolvenzmasse erhält, da zunächst die erstrangigen Forderungen der normalen Insolvenzgläubiger vollständig erfüllt sein müssen. Gesellschafter werden demnach gegenüber normalen Insolvenzgläubigern benachteiligt, da sie erhaltene Darlehenstilgungen zurückzahlen müssen und spiegelbildlich mit ihren noch offenen Darlehensrückzahlungsforderungen ausfallen.
Die Sonderfrage in der vorliegenden Konstellation ist nun, ob die deutschen Regelungen in grenzüberschreitenden Fällen überhaupt anzuwenden sind. Im Grundsatz gilt, dass sich die Behandlung von Gesellschafterdarlehen und deren Anfechtbarkeit bzw. Nachrangigkeit nach dem Recht beurteilt, nach dem das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, Art. 7 Abs. 1, 2 lit. m) EuInsVO. Art. 16 EuInsVO macht von diesem Grundsatz allerdings eine Ausnahme, wenn für das Darlehen das Recht eines anderen Mitgliedstaates maßgeblich ist und dieses Recht keine Anfechtbarkeit oder Nachrangigkeit vorschreibt. Dies kann dazu führen, dass in Insolvenzverfahren, die von einem deutschen Gericht eröffnet worden sind und nach den deutschen Regelungen der InsO geführt werden, die Gesellschafter im Ergebnis nicht wie nachrangige, sondern wie normale Insolvenzgläubiger zu behandeln sind, nämlich dann, wenn das für das Darlehen maßgebliche Recht des Mitgliedstaates keine Vorschriften zur Anfechtbarkeit oder Nachrangigkeit enthält.
Das Vorabentscheidungsersuchen des BGH zielt darauf ab, den Anwendungsbereich und die Wirkung des Art. 13 EuInsVO a. F. (heute wortlautidentisch in Art. 16 EuInsVO geregelt) zu klären.
Einschätzung des BGH und Gegenauffassung
Der BGH hat sich in seinem Beschluss klar positioniert und ist der Auffassung, dass ein Gesellschafter nicht darauf vertrauen kann, dass seine Maßnahmen zur Finanzierung seiner Gesellschaft mit Sitz in Deutschland nicht den deutschen Regelungen der InsO unterfallen. Daher könne der Anwendungsbereich des Art. 16 EuInsVO (Art. 13 EuInsVO a. F.), der dem Vertrauensschutz dient, nicht eröffnet sein. Sofern der Anwendungsbereich eröffnet sein sollte, geht der BGH weiter davon aus, dass gemäß Art. 16 EuInsVO nicht an das Schuldstatut anzuknüpfen sei, das zu dem Recht des Staates führt, dem der Darlehensvertrag unterfällt, sondern an das Gesellschaftsstatut, das hier zur Anwendung des deutschen Rechts führt.
Die Gegenauffassung geht davon aus, dass Art. 16 EuInsVO (Art. 13 EuInsVO a. F.) anzuwenden ist und zur Anwendung des Rechts des Staates führt, dem der Darlehensvertrag unterliegt. In dem hier zugrunde liegenden Fall würde dies zur Anwendung des österreichischen Rechts führen, das keine Anfechtbarkeit oder Nachrangigkeit der Ansprüche des Gesellschafters aus dem Darlehen anordnet.
Entscheidung des EuGH
Welche Entscheidung der EuGH letztlich trifft, bleibt abzuwarten. Die Auswirkungen einer Entscheidung, die die Anfechtbarkeit bzw. Nachrangigkeit verneint, dürfen allerdings nicht unterschätzt werden. Die deutschen Regelungen der InsO zu den Gesellschafterdarlehen wären erheblich infrage gestellt, da Gesellschafter versucht sein werden, die Risiken der Anfechtbarkeit und des Nachrangs zu umgehen, indem sie in den Darlehensverträgen eine bestimmte für sie günstige Rechtswahl treffen. Verschärft wird dies noch zusätzlich dadurch, dass die Beteiligten eine Rechtswahl mit den beschriebenen Konsequenzen auch in rein inländischen Sachverhalten treffen können. Insolvenzverwaltern würde damit die nach deutschem Recht bestehende Möglichkeit zur Mehrung der Insolvenzmasse durch Anfechtung von Gesellschafterdarlehensrückzahlungen deutlich erschwert, da ihnen nur die Möglichkeit bliebe, die Rechtswahl selbst – sofern die Voraussetzungen vorliegen – anzufechten oder den Einwand des Rechtsmissbrauchs zu erheben. Rechtspolitisch ist der Ausschluss der Anfechtbarkeit und des Nachrangs fragwürdig, da ein Gesellschafter nicht mit einem außenstehenden Dritten vergleichbar ist und die Gewährung eines Gesellschafterdarlehens kein übliches Verkehrsgeschäft darstellt, sondern eher eine das Eigenkapital der Gesellschaft stärkende Maßnahme.