Rechtlicher Rahmen und Haftungsrisiken
Während das Thema der sog. Scheinselbstständigkeit lange Zeit im Wesentlichen im IT- und im Gesundheitssektor verortet wurde, dürfte unstreitig sein, dass der Einsatz von freien Mitarbeitern heute flächendeckend erfolgt und insofern kein „Nischenthema“ mehr ist.
Freie Mitarbeiter bzw. Freelancer treten zunächst einmal formal als selbstständige Unternehmer auf, tatsächlich sind sie in vielen Fällen jedoch derart eng in die operativen Prozesse der sie beauftragenden Unternehmen eingebunden (zum Teil sogar für deren operativen Erfolg mitentscheidend), dass sie faktisch von diesen abhängig sind (teilweise auch die Unternehmen von ihnen).
Stellt sich im Nachhinein heraus, dass der freie Mitarbeiter gar keine selbstständige Tätigkeit, sondern eine abhängige Beschäftigung ausgeübt hat, ergeben sich gravierende Konsequenzen: Es greifen nicht nur arbeitsrechtliche Schutzvorschriften, es sind insbesondere Lohnsteuer einzubehalten und Beiträge zur Sozialversicherung zu entrichten – dies gilt auch rückwirkend bis zu vier Jahren, in vorsätzlichen Fällen sogar bis zu 30 Jahren. Ein Regress seitens der Unternehmen gegenüber dem vermeintlichen freien Mitarbeiter ist nur bedingt möglich. Ferner drohen straf- und ordnungsrechtliche Konsequenzen, vor allem für die Geschäftsleitungsorgane persönlich. Auch ist eine nachträgliche Heilung nur bedingt möglich.
Risikoermittlung im Rahmen der Due Diligence
In der Regel erfolgt keine Transaktion ohne vorhergehende Due Diligence, in deren Rahmen spezifische Risiken identifiziert und bewertet werden, so auch jene im Zusammenhang mit der Beschäftigung von freien Mitarbeitern („Externen“). Prüfungsmaßstab ist hierbei stets der Arbeitnehmerbegriff des § 611a BGB. Danach ist Arbeitnehmer, wer im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Die Abgrenzung zu einem freien Mitarbeiter, der seine Tätigkeit frei gestalten und insbesondere Zeit und Ort der Tätigkeit „selbstständig“ bestimmen kann, ist vor allem in Zeiten von mobiler Arbeit und flexiblen Arbeitszeiten schwieriger denn je.
Eine erste Hürde im Rahmen einer Due Diligence stellt sich teils schon bei der grundsätzlichen Festlegung des den Sorgfaltspflichten standhaltenden Prüfungsumfangs. Werden nur „echte“ freie Mitarbeiterverträge geprüft oder auch Verträge mit Unternehmen, die ggf. nur über eine überschaubare Anzahl von Mitarbeitern verfügen, womit das Risiko einer wirtschaftlichen Abhängigkeit zumindest nicht per se ausgeschlossen werden kann? Wo zieht man hier die Grenze? Grundsätzlich ist zu empfehlen, sich im ersten Schritt allgemein einen Überblick darüber zu verschaffen, in welchen Bereichen das Zielunternehmen mit externen Providern und Drittanbietern zusammenarbeitet. Hieraus ergibt sich oft schon ein valides Bild darüber, wo und wie ein Fokus gelegt werden kann. Hilfreich und empfehlenswert ist jedenfalls, auch Informationen über die jeweiligen regelmäßigen Auftragsvolumen zu erlangen. Auf diese Weise kann neben der rechtlichen Risikoeinschätzung bereits eine zumindest graduelle finanzielle Risikoeinschätzung erfolgen.
Eine weitere Herausforderung im Hinblick auf die Überprüfung von freien Mitarbeiterverträgen besteht darin, dass sich die Risiken einer Scheinselbstständigkeit abschließend letztlich nur im Rahmen von Einzelfallprüfungen beurteilen lassen. Entscheidend ist hier stets die tatsächliche Durchführung der Beauftragung in der täglichen Zusammenarbeit zwischen freiem Mitarbeiter und Unternehmen. Bei Durchführung der Due Diligence als solcher können jedoch zunächst meist nur die der Beauftragung zugrunde liegenden Verträge rechtlich geprüft und mit sog. Expert Calls flankiert werden (z. B. mit den Personalverantwortlichen des Zielunternehmens – manchmal bieten sich auch Gespräche mit der Einkaufsabteilung an, da vermeintliche freie Mitarbeiter bzw. die zugrunde liegenden Werk- oder Dienstleistungsverträge oft gar nicht den Weg in die Personal- und Rechtsabteilungen finden). Denkbar ist zwar auch, anhand eines vom freien Mitarbeiter auszufüllenden Fragebogens und eines zuvor zu definierenden Indizienkatalogs zu evaluieren, ob das Gesamtbild der Beschäftigung eher eine Selbstständigkeit oder eine Abhängigkeit suggeriert; inwiefern dies aber in der Praxis gerade im Rahmen des Transaktionsprozesses wirklich handhabbar ist (wie frühzeitig sollen freie Mitarbeiter Kenntnis über eine geplante Transaktion erlangen?), ist eher fraglich.
Bedeutung für den Unternehmenserfolg
Neben all den Compliance-relevanten Themen sind Erwerber gut beraten, auch in den Blick zu nehmen, wie entscheidend freie Mitarbeiter teilweise für den operativen Erfolg eines Unternehmens sind. Das kann zum einen wiederum ein Indiz für eine abhängige Beschäftigung sein, zum anderen aber auch für den Erwerber Unsicherheiten mit sich bringen, inwiefern der dem Unternehmen zugrunde liegende Business Case nach der Transaktion noch standhält.
Asset Deal
Im Falle von Unternehmenstransaktionen in Form eines sog. Asset Deals stellt sich zunächst einmal die Frage, ob und wie die jeweiligen Verträge fortgeführt werden können und sollen.
Bei einem Asset Deal werden nur einzelne Unternehmensgegenstände, nicht jedoch die Gesamtheit des Zielunternehmens übernommen. Hierzu gehören zwar in der Regel auch Verträge mit Dritten – allerdings benötigt die Übernahme insbesondere im Falle von freien Mitarbeiterverträgen regelmäßig deren Zustimmung. Denn von einem üblicherweise ausgelösten Betriebsübergang nach § 613a BGB sind Selbstständige, anders als Arbeitnehmer, ja gerade nicht erfasst.
Gleichwohl ist der Erwerber auch hier nicht von jeglichem Haftungsrisiko frei. War das freie Mitarbeiterverhältnis fälschlicherweise als ebensolches deklariert, faktisch jedoch zum Zeitpunkt des Erwerbs der Zielgesellschaft ein (scheinselbstständiges) Arbeitsverhältnis, ist jedenfalls dessen Fortführung als Arbeitsverhältnis aufgrund des Betriebsübergangs logische Rechtsfolge. Ausstehende Entgelte und Abgaben sollten üblicherweise von Freistellungs- bzw. Gewährleistungsklauseln im Kauf- und Übernahmevertrag gedeckt werden.
Haben sich im Rahmen der Due Diligence zumindest in gewissem Umfang Zweifel an der selbstständigen Tätigkeit ergeben, wird aufgrund des Asset Deals jedoch in gutem Glauben der freie Mitarbeitervertrag im Wege eines Neuabschlusses übernommen, könnte der Erwerber die Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung um abschließende Beurteilung ersuchen. Alternativ kann dem freien Mitarbeiter auch ein Arbeitsvertragsschluss angeboten werden, der dann letztlich für die Zukunft das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien neu regelt.
Share Deal
Bei einem Share Deal, also einem reinen Gesellschafterwechsel ohne Einfluss auf die Identität der Zielgesellschaft, stellt sich die Fortführung der Verträge in der Regel zunächst einmal als unproblematisch dar.
In dieser Konstellation ist jedoch zwingend zu berücksichtigen, dass gerade hier der Erwerber in alle potenziellen Haftungsfälle eintritt. Denn etwaige Risiken aus der Scheinselbstständigkeit verbleiben naturgemäß bei der dann erworbenen Gesellschaft.