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Fortfall der Vergütungspflicht bei Freistellung nur bei Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung


Kündigt ein Arbeitgeber einem Arbeitnehmer ordentlich und stellt er ihn bei Fortzahlung der Vergütung frei, stellte sich bislang die Frage, ob der Arbeitnehmer während der Kündigungsfrist eine neue Anstellung suchen muss, um die Kosten für das Freistellungsgehalt zu reduzieren. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschied, dass eine Anrechnung fiktiver Verdienstmöglichkeiten vor Ablauf der Kündigungsfrist nur in Betracht kommt, wenn der Arbeitgeber nachweisen kann, dass eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unzumutbar war (BAG, Urteil vom 12.02.2025 – Az.: 5 AZR 127/24; der Beitrag beruht auf der Pressemitteilung des BAG).

Sachverhalt

Der Arbeitgeber kündigte seinem Arbeitnehmer ordentlich zum 30.06.2023. Er stellte ihn gleichzeitig unwiderruflich unter Fortzahlung der Vergütung frei. Bereits im Mai und Juni 2023 übermittelte der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer insgesamt 43 potenziell geeignete Stellenangebote, die auf Jobportalen oder Unternehmenswebsites zugänglich waren. Zeitgleich forderte der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auf, sich auf die Stellenangebote zu bewerben.

Der Arbeitnehmer reichte jedoch erst zum Ende der Kündigungsfrist tatsächlich Bewerbungen auf sieben dieser Stellenangebote ein. Da er sich nicht schon früher während seiner Freistellung auf die ihm übermittelten Stellenangebote beworben hatte, zahlte der Arbeitgeber für den Monat Juni 2023 keine Vergütung. Er argumentierte, der Arbeitnehmer habe es in einer Annahmeverzugssituation böswillig unterlassen, sich um einen anderweitigen Erwerb zu kümmern. Daher müsse er sich den fiktiven anderweitigen Verdienst gemäß § 615 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) anrechnen lassen. Daraufhin machte der Arbeitnehmer die ausstehende Vergütung gerichtlich geltend. Er argumentierte, dass er nicht verpflichtet sei, während der Kündigungsfrist ein anderweitiges Arbeitsverhältnis bei einem neuen Arbeitgeber einzugehen. Darüber hinaus könne auch bei einer Bewerbung im Mai 2023 nicht von einer Einstellung zum 01.06.2023 ausgegangen werden.

Das Arbeitsgericht Villingen-Schwenningen hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Arbeitnehmers hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg (LAG) der Klage stattgegeben.

Entscheidung

Das BAG hat zulasten des Arbeitgebers entschieden und die Entscheidung des LAG bestätigt. Der Arbeitgeber habe sich aufgrund der einseitig erklärten Freistellung des Klägers während der Kündigungsfrist im Annahmeverzug befunden und schulde dem Arbeitnehmer gemäß § 615 Satz 1 BGB i. V. m. § 611a Abs. 2 BGB die vereinbarte Vergütung für die Dauer der Kündigungsfrist.

Der Arbeitnehmer müsse sich den fiktiven Verdienst vor Ablauf der Kündigungsfrist grundsätzlich nicht anrechnen lassen, da er nach Auffassung des BAG anderweitige Verdienstmöglichkeiten nicht böswillig unterlassen habe.

Die Anrechnung des fiktiven Verdienstes gemäß § 615 Satz 2 BGB ist nach Auffassung des BAG nur gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer wider Treu und Glauben untätig geblieben ist. Hierbei handle es sich um eine sog. Billigkeitsregelung, weshalb der Umfang der Obliegenheit des Arbeitnehmers nicht losgelöst von den Pflichten des Arbeitgebers beurteilt werden könne. In diesem Zusammenhang hätte der Arbeitgeber darlegen müssen, dass es ihm unzumutbar gewesen sei, den auch während der Kündigungsfrist fortbestehenden Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers zu erfüllen. Nach Überzeugung des BAG sei ihm dies nicht gelungen.

Fazit

Für den Zeitraum nach Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist hat das BAG bereits in der Vergangenheit klargestellt, dass die Beurteilung der Böswilligkeit auf einer umfassenden Gesamtabwägung von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen beruhen muss. Danach könnte ein Arbeitnehmer gemäß § 11 Nr. 2 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) anderweitigen Verdienst böswillig unterlassen, wenn er eine zumutbare Arbeit nicht aufnimmt oder die Aufnahme der Arbeit bewusst verhindert.

Für den Zeitraum vor Ablauf der Kündigungsfrist stellt die aktuelle Entscheidung des BAG jedoch besonders hohe Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers: Der Arbeitgeber muss darlegen, dass die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unzumutbar war, um Vergütungsansprüche wegen Annahmeverzugs des Arbeitgebers während der Freistellung wirksam abwehren zu können. Arbeitgeber sind daher gut beraten, Freistellungen sorgfältig zu prüfen sowie deren Gründe und Umstände umfassend zu dokumentieren.

Kontaktpersonen: Wolfgang Hardt, Laura Spiewak