Hintergrund: Streit um vorzeitige Kündigung eines Festpreisvertrags
Die Klägerin, ein mittelständisches energieintensives Unternehmen mit langjähriger Geschäftsbeziehung zu ihrem Energieversorger, schloss im Frühjahr 2022 unter dem Eindruck stark ansteigender Energiepreise einen 24-monatigen Stromliefervertrag zu einem seinerzeit attraktiven Festpreis. Als die Strompreise im Laufe des Jahres 2023 entgegen den Erwartungen der Klägerin erheblich sanken, versuchte sie – gestützt auf eine Klausel in den Allgemeinen Versorgungsbedingungen, die ausweislich nur für die Grundversorgung (§ 36 EnWG) ein zweiwöchiges außerordentlich Kündigungsrecht einräumt – zu kündigen. Sie machte geltend, die Allgemeinen Versorgungsbedingungen seien widersprüchlich und missverständlich. Sie sei von einer ordentlichen Kündigungsmöglichkeit innerhalb kurzer Frist ausgegangen. Hilfsweise berief sie sich auf § 313 BGB (Störung der Geschäftsgrundlage), weil sich die Marktverhältnisse zwischenzeitlich grundlegend geändert hätten. Drastisch sinkende Strompreise seien nicht absehbar gewesen. Inzwischen sei der vertraglich vereinbarte Strompreis gegenüber dem heutigen Preisniveau unangemessen hoch. Der Energieversorger wies die Kündigung zurück. Eine vorzeitige Vertragsbeendigung sei unbillig, weil er im Vertrauen auf die vereinbarte Laufzeit langfristig Strommengen zu hohen Preisen beschafft habe. Im Übrigen seien die vertraglichen Regelungen nicht missverständlich, zumal die Klägerin kaufmännisch erfahren sei.
Gerichtliche Bewertung der Vertragsklauseln
Das LG hat mit seiner Entscheidung vom 10.03.2025 klargestellt, dass die in den Allgemeinen Versorgungsbedingungen enthaltene Kündigungsklausel hier nicht greife. Die Parteien hätten im individuellen Versorgungsvertrag eine feste Laufzeit ohne ordentliches Kündigungsrecht mit einem Festpreis vereinbart. Die Regelungen der Grundversorgung kämen laut Vertragswortlaut nur insoweit zur Anwendung, als sie nicht durch die individualvertraglichen Bestimmungen verdrängt würden. Diese „abschichtende“ Vertragskonstruktion sei zulässig und insbesondere im kaufmännischen Verkehr hinreichend transparent. Die Klägerin könne sich auch nicht auf eine Mehrdeutigkeit berufen, die eine kundenfreundliche Auslegung nach § 305c Abs. 2 BGB erfordere. Die Klauseln zu Kündigungsfristen und Vertragslaufzeit seien hinreichend klar und für einen durchschnittlichen Vertragspartner verständlich.
Keine Vertragsanpassung wegen drastisch veränderter Marktbedingungen
Hauptsächlich hatte die Klägerin zuletzt geltend gemacht, die drastisch gesunkenen Preise rechtfertigten eine Anpassung oder vorzeitige Beendigung des Vertrags nach § 313 BGB. In diversen Verfahren wird seit Ausbruch des Ukrainekrieges ähnlich argumentiert, weil die nach Kriegsausbruch vergleichsweise hohen Energiepreise für manche Unternehmen aus heutiger Sicht existenzbedrohend sind. Häufig wird Energieversorgern dabei vorgehalten, ihre Tarife seien überzogen, sodass zumindest eine einseitige Anpassung erforderlich sei.
Das Gericht ist diesem Vortrag nicht gefolgt. Es hat vielmehr festgestellt, dass beide Vertragsparteien das Marktrisiko bewusst in Form eines Festpreisvertrags abgebildet hätten. Der Grundsatz „Pacta sunt servanda“ wiege in solchen Fällen schwerer als eine nachträgliche Anpassung aufgrund zwischenzeitlich eingetretener wirtschaftlicher Nachteile. Preisveränderungen seien in erster Linie als normales unternehmerisches Risiko zu werten.
Fazit
Das LG hat betont, dass bei eindeutig formulierten Festpreisverträgen eine vorzeitige Kündigung oder Vertragsanpassung regelmäßig nicht in Betracht komme. Eine Partei könne sich nicht nachträglich von den getroffenen Absprachen lösen, nur weil sich die wirtschaftliche Situation verändert habe. Dies entspreche dem Grundsatz, dass Festpreisverträge beide Seiten gegen Marktschwankungen absichern und daher auch eingehalten werden müssen. Hätten die Preise weiter angezogen, hätte die Klägerin gleichermaßen von ihrer Kalkulationssicherheit profitiert. Der Energieversorger trage seinerseits zudem ein erhebliches Risiko, weil er Strommengen am häufig volatilen Markt – teils langfristig – zu bestimmten Konditionen beschaffen müsse. Umgekehrt hätte die Klägerin ihrerseits bewusst auf eine langfristige Preisbindung gesetzt. Dass sich dieses betriebswirtschaftliche Kalkül im Nachhinein als Nachteil erwiesen habe, begründe keine einseitige Vertragsanpassung oder Kündigung.