Römische Pfosten

Kommt das Unternehmensstrafrecht?

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Die Bundesjustizministerin Christine Lambrecht hat ihr Vorhaben leicht überarbeitet. Es heißt nun „Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“. Auch hier hagelt es Kritik.

Lange war es ruhig geworden um den Entwurf eines „Gesetzes zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität“, der sich seit dem Spätsommer 2019 in der Ressortabstimmung der Ministerien befand. Ziel ist eine Ausweiterung und Verschärfung strafrechtlicher Sanktionsmöglichkeiten für wirtschaftlich tätige Verbände und Unternehmen. Nun hat die federführende Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) das Vorhaben leicht überarbeitet und mit einem neuen Namen versehen. Der Entwurf für ein „Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“ wurde trotz COVID-19 Krise als Regierungsentwurf beschlossen und noch vor der parlamentarischen Sommerpause in das Gesetzgebungsverfahren gegeben. Sonderliche Änderungen gegenüber der ursprünglichen Fassung aus dem vorigen Jahr gibt es trotz vielstimmiger Kritik nicht. Lediglich die ultimative Sanktion einer Verbandsauflösung („Todesstrafe für Unternehmen“) ist aus dem Gesetzentwurf verschwunden. Scharfe Kritik kommt insbesondere von den großen Wirtschaftsverbänden. Ein derartiges Gesetz, heißt es in einer Stellungnahme, „führt zu unangemessenen Belastungen gerade auch der rechtstreuen Unternehmen und schafft erhebliche Rechtsunsicherheit in einer Zeit, in der die Unternehmen vom Staat Klarheit und Verlässlichkeit erwarten“. Gleichwohl kann sich Bundesjustizministerin Lambrecht auf eine klare Vorgabe im Koalitionsvertrag berufen.

Mehr als nur Ordnungswidrigkeiten

Zentrales Element des Regierungsentwurfs, der Änderungen in einer Vielzahl von Gesetzen vorsieht, ist die Schaffung eines Verbandssanktionengesetzes, mit dem das als unzureichend empfundene Instrumentarium des Ordnungswidrigkeitengesetzes (OWiG) durch eine neue Regelung ergänzt wird. Der Gesetzentwurf will erstmals eine originär im Strafrecht angesiedelte Sanktionierung von Unternehmen ermöglichen. Die entsprechenden Straftaten müssen entweder auf eine verbandsbezogene Pflichtverletzung zurückzuführen sein oder dem Verband einen finanziellen Vorteil verschaffen. Als Verband gelten neben klassischen Kapital- und Personengesellschaften auch Vereine, wobei nach dem überarbeiteten Wortlaut nur solche Verbände in den Anwendungsbereich des Gesetzes fallen, deren Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist. Anknüpfungspunkt ist entweder der Pflichtverstoß einer Leitungsperson oder das Unterlassen angemessener Aufsichtsmaßnahmen, durch die ein Compliance-Verstoß verhindert oder wesentlich erschwert worden wäre. Dabei ist der Begriff der Verbandsstraftat nicht auf bestimmte Deliktsgruppen wie Vermögens- oder Steuerdelikte beschränkt, sondern umfasst sämtliche unternehmensbezogenen Straftaten bis hin zu Menschenrechts- oder Umweltverstößen. In steuerlicher Hinsicht relevant ist insbesondere die Steuerhinterziehung, nicht jedoch steuerliche Bußgeldtatbestände.

 

Bis zu 10 Prozent des Konzernumsatzes

Wesentlicher Kritikpunkt am Gesetzentwurf ist und bleibt die hohe Verbandsgeldsanktion. Auch wenn im Grundsatz die bereits in § 30 OWiG vorgesehenen Höchstgrenzen von 10 Millionen Euro bei einer vorsätzlichen und von 5 Millionen Euro bei einer fahrlässigen Verbandsstraftat fortgeschrieben werden, sollen Unternehmen, deren durchschnittlicher Jahresumsatz mehr als 100 Millionen Euro beträgt, mit deutlich höheren Sanktionen belegt werden können. Anknüpfend an Regelungen des Kartellrechts können im Falle einer vorsätzlichen Verbandsstraftat bis zu 10 Prozent und bei Fahrlässigkeit bis zu fünf Prozent des durchschnittlichen Jahresumsatzes verhängt werden. Als Bemessungsgrundlage ist bei konzernverbundenen Unternehmen, die als wirtschaftliche Einheit operieren, der weltweite Konzernumsatz zu berücksichtigen.

 

Auch KMU betroffen

In den Anwendungsbereich der erhöhten Sanktion fallen neben multinationalen Konzernen auch viele kleine und mittlere Unternehmen, die sicherlich nicht zur primären Zielgruppe des Gesetzentwurfs zählen. Als in besonderer Weise problematisch erweist sich das Anknüpfen an die Maßgröße Umsatz, insbesondere bei einem Geschäftsmodell mit niedriger Marge. Dass sich im überarbeiteten Regierungsentwurf eine neue Regelung findet, nach der – neben weiteren Kriterien – auch „die wirtschaftlichen Verhältnisse des Verbandes“ zu berücksichtigen sind, ändert nichts an der problematischen Grundkonzeption der Norm.

 

Weniger Spielraum, mehr Verfahren

Als weitere wesentliche Verschärfung der Rechtslage ist geplant, dass Staatsanwaltschaften und sonstige Verfolgungsbehörden nach dem Legalitätsprinzip eine zwingende Verpflichtung zur Eröffnung von Ermittlungsverfahren gegen Unternehmen haben. Anders als im Bußgeldrecht soll die Verhängung von Verbandssanktionen nicht mehr im grundsätzlichen Ermessen der Verfolgungsbehörde stehen. Dass damit einer laut Gesetzesbegründung bestehenden „uneinheitlichen Verfolgungspraxis“ entgegengewirkt wird oder „regionale Besonderheiten“ beseitigt werden, darf jedenfalls für den Steuerbereich bezweifelt werden. Die Verhängung von Bußgeldern nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz, insbesondere anknüpfend an eine Verletzung der Aufsichtspflicht (§ 30, 130 OWiG), ist bei Steuerdelikten seit Jahren geübte Praxis der Behörden. Die besondere Relevanz der Einführung des Legalitätsprinzips zeigt sich auch daran, dass das Bundesjustizministerium nicht weniger als 15.000 Ermittlungsverfahren pro Jahr erwartet. Es wird also eine gewisse Erwartungshaltung formuliert, der die Strafverfolgungsbehörden nachkommen sollen.

Strafminderungskatalog

Ebenfalls eingeflossen in den umfangreichen Gesetzentwurf sind Regelungen zu verbandsinternen Untersuchungen (Internal Investigations). Ziel soll die Schaffung eines verlässlichen Rechtsrahmens sein, dem dann Strafverfolger, betroffene Unternehmen, ihre Berater und auch die Mitarbeiter ihre Rechte und Pflichten entnehmen können. Dabei ist eine Strafmilderung auf die Hälfte des gesetzlichen Höchstmaßes vorgesehen. Auch wenn diese Strafmilderung nach Überarbeitung des Gesetzentwurfs nunmehr obligatorisch und nicht nur fakultativ greifen soll („soll“ statt „kann“), ist sie gleichwohl an einen umfangreichen und nicht immer klar definierten Katalog von Voraussetzungen geknüpft. Dass die Regelung im aktuellen Entwurf um ein zusätzliches weiches Kriterium ergänzt wurde, wonach Art und Umfang der offenbarten Tatsachen, der Zeitpunkt der Offenbarung sowie das Ausmaß der Unterstützung von Strafverfolgungsbehörden Berücksichtigung finden, schafft für eine Strafmilderung zwar zusätzliche Spielräume, trägt aber nicht zur Rechtsklarheit bei.

 

Compliance-Maßnahmen

Grundsätzlich positiv zu bewerten ist, dass neben Internal Investigations auch Compliance-Maßnahmen eines Unternehmens als eigenständiges Kriterium bei der Strafzumessung zu berücksichtigen sind. Dabei handelt es sich, soweit ersichtlich, um die erste gesetzliche Regelung in Deutschland, die mit einem eher breit angelegten Anwendungsbereich Compliance-Bemühungen von Unternehmen privilegiert. Für die Bemessung einer Geldbuße ist es danach von Bedeutung, inwieweit das Unternehmen seiner Pflicht, Rechtsverletzungen in seiner Sphäre zu unterbinden, nachgekommen ist und ein effizientes Compliance-Management installiert hat. Angesichts der erheblichen finanziellen Risiken für Unternehmen, die mit dem Verbandssanktionengesetz einhergehen, hätte die gesetzgeberische Wertschätzung von Compliance-Maßnahmen allerdings deutlich höher ausfallen können und müssen. Im gegenwärtigen Entwurf verlieren sich Compliance-Maßnahmen in einem Katalog von insgesamt acht Kriterien bei der Strafzumessung. Da professionelle Compliance-Systeme erhebliche finanzielle und personelle Ressourcen erfordern, wäre es geboten, deren strafmildernde Wirkung erheblich stärker gesetzlich vorzuprägen.

 

BGH-Rechtsprechung

Die Berücksichtigung von Compliance-Maßnahmen als eigenständiges Kriterium im Rahmen der Strafzumessung steht im Einklang mit der jüngeren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 9. Mai 2017, 1 StR 265/16) und zeigt, welch hohe Bedeutung die Einführung und Verbesserung von Compliance-Systemen hat. In der Unternehmenspraxis hat dieses Thema in den letzten Jahren hohe praktische Relevanz gewonnen, insbesondere angesichts der Möglichkeit, ein Compliance-Management-System (CMS) an einem anerkannten Prüfungsstandard des IDW (PS 980) auszurichten. Dies gilt vor allem für den steuerlichen Bereich.

Fazit

Auch unter Berücksichtigung der aktuellen Anpassungen erscheint der Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft in seinen Konsequenzen weiterhin unausgewogen und in seinen negativen Konsequenzen für die Wirtschaft überschießend. Die finanziellen Sanktionen dürften trotz des zusätzlichen Kriteriums der wirtschaftlichen Verhältnisse für viele Unternehmen existenzbedrohend sein. Die einzige Möglichkeit für Unternehmen, sich auf die zu erwartenden neuen Rahmenbedingungen einzustellen, besteht darin, ihre Compliance-Systeme auszubauen und zu verbessern. Die gilt sowohl in steuerlicher Hinsicht (Tax CMS) als auch für den nicht weniger relevanten Bereich der Legal Compliance.

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