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„Kartelle für den guten Zweck“ oder: Welchen Beitrag kann das Kartellrecht zu mehr Nachhaltigkeit leisten?

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Überblick

  • Die Lebensmittelzeitung veröffentlichte Anfang April einen Artikel mit der Überschrift „Kartelle für den guten Zweck“ und ging damit auf ein Thema ein, das seit mehreren Jahren unter Kartellrechtlern diskutiert wird und zuletzt immer mehr an Bedeutung gewonnen hat.
  • Es geht um die Frage, ob und wie das Kartellrecht einen Beitrag dazu leisten kann und leisten soll, gesellschaftliches, vor allem wirtschaftliches Handeln nachhaltiger zu gestalten. 
  • Noch weiter pointiert geht es um die Frage: Sind wir bereit, Einschränkungen des Wettbewerbs in Kauf zu nehmen, um dafür Nachhaltigkeitsziele schneller oder besser zu erreichen?

Dogmatisch eingeordnet wird diese Frage in Deutschland in § 2 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) und auf EU-Ebene im nahezu inhaltsgleichen Art. 101 Abs. 3 AEUV. Dort ist bestimmt, dass gewisse weniger schwerwiegende Beschränkungen des Wettbewerbs ausnahmsweise zulässig („freigestellt“) sein können, wenn sie (1) unbedingt erforderlich sind, (2) zu einer Verbesserung von Warenerzeugung, -verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen und (3) die Verbraucher daran angemessen beteiligt werden. Hier stellt sich also dogmatisch die Frage, ob Nachhaltigkeitsziele unter die unter (2) genannten Themen subsumiert werden können.

Diese Frage ist nicht trivial, denn das Kartellrecht schützt zuvorderst den Wettbewerb und nicht die Natur, die Umwelt oder Menschenrechte. Entsprechend wurde in der Vergangenheit auch regelmäßig seitens verschiedener Kartellbehörden, insbesondere seitens des Bundeskartellamtes, argumentiert, dass das Kartellrecht in erster Linie den Wettbewerb schütze und dies dann aber auch dem Umweltschutz diene. Denn im kompetitiven Wettstreit miteinander müssten Unternehmen stets nach effizienteren, Ressourcen schonenderen, günstigeren Wegen suchen, ihre Produkte und Dienstleistungen herzustellen bzw. anzubieten. Darüber hinaus sei aber Nachhaltigkeit nicht Aufgabe des Kartellrechts. Dem liegt die Sorge zugrunde, der Wettbewerb könnte bei einer Abwägung zugunsten von „Drittthemen“ nachhaltigen Schaden nehmen.

Österreich nimmt Vorreiterrolle ein

Ungeachtet dieser Vorbehalte schreiten aber einzelne Akteure auf der europäischen Kartellrechtsbühne voran. Zu nennen ist insbesondere Österreich, das im vergangenen September explizit Nachhaltigkeitskriterien ins nationale Kartellgesetz aufgenommen hat. Die Ausnahme vom grundsätzlichen Kartellverbot wurde ausgedehnt, sodass eine ausreichende Beteiligung der Verbraucher auch dann gegeben ist, wenn der vorausgesetzte Gewinn, der aus der Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder der Förderung des technischen/wirtschaftlichen Fortschritts entsteht, wesentlich zu einer ökologisch nachhaltigen oder klimaneutralen Wirtschaft beiträgt. Österreich ist damit Vorreiter in der EU. Maßnahmen gab es aber auch andernorts. So hat die Europäische Kommission in ihrem Entwurf neuer Horizontalleitlinien erstmals ein ganzes Kapitel zum Thema Nachhaltigkeitsvereinbarungen vorgesehen. Die niederländische Kartellbehörde ACM hat einen bereits überarbeiteten Entwurf von Leitlinien zur kartellrechtlichen Beurteilung von Nachhaltigkeitsvereinbarungen zwischen Unternehmen veröffentlicht. Er enthält einen allgemeinen Analyserahmen dazu, welche Vereinbarungen per se unbedenklich sind und welche zu einer Wettbewerbsbeschränkung führen und daher einer Rechtfertigung bedürfen. Die britische CMA hat im März dieses Jahres ihren „environmental sustainability advice to government“ veröffentlicht. Dieser geht unter anderem auf die Bewertung von Fällen ein, in denen Umweltschutzinitiativen zu Wettbewerbsbeschränkungen führen.

Bundeskartellamt veröffentlicht erste Fallberichte

So war es letztlich nicht verwunderlich, dass sich auch das deutsche Bundeskartellamt jüngst zu diesem Themenkomplex äußerte. Das Amt tat dies nicht in Form von (Entwurfs-)Leitlinien oder Ähnlichem, sondern in Form von Fallberichten. In einem der Fälle ging es um eine Initiative zur Förderung existenzsichernder Löhne im Bananensektor. Hier sollten die Teilnehmer auf freiwilliger Basis eine bestimmte Menge Bananen, die unter Einhaltung existenzsichernder Löhne und örtlicher Mindestpreise produziert werden, nach Deutschland einführen und verkaufen. Das Bundeskartellamt interessierte sich besonders für die Vereinheitlichung von Preisbestandteilen beim Einkauf, nahm letztlich aber keine abschließende materiell-rechtliche Bewertung des Systems vor, sondern verzichtete im Rahmen seines Aufgreifermessens auf weiter gehende Maßnahmen. Dabei betonte das Amt, dass es neben der Freiwilligkeit der Teilnahme bzw. der Unverbindlichkeit des gesamten Systems bedeutsam war, dass zwischen den teilnehmenden Unternehmen des Lebensmitteleinzelhandels kein Austausch zu Einkaufspreisen, Kosten, Produktionsmengen oder zu Margen stattfand.

Ähnlich urteilte das Bundeskartellamt in einem zweiten Sachverhalt, der Initiative Tierwohl in der Milcherzeugung. Zentrale Elemente des dem Amt vorgestellten Programms sind die Einführung eines Labels für Produkte, die bestimmte Tierwohlkriterien erfüllen, sowie die Finanzierung der anfallenden Mehrkosten mittels eines sogenannten Tierwohlaufschlags für die Erzeuger. Grundsätzlich problematisch sieht das Amt allerdings die Vereinbarung eines verbindlichen pauschalen Tierwohlaufschlags, der auch nur für eine Anlaufphase bis 2024 toleriert werden soll. Im Anschluss müsse erneut evaluiert werden, inwieweit zusätzliche wettbewerbliche Elemente eingeführt werden können.

Kartellrechtlich für unzulässig hielt das Bundeskartellamt ein von verschiedenen Milcherzeugern vorgeschlagenes Konzept zur Finanzierung der Transformation der heimischen Landwirtschaft. Das Konzept sah vor, flächendeckend das an die Milchbauern zu zahlende Milchgeld, um einheitliche Aufschläge zu erhöhen. Das Amt sah hier keine Nachhaltigkeitsinteressen verfolgt, sondern allein das Interesse an einem höheren Einkommensniveau. Letzteres könne aber keine Wettbewerbsbeschränkungen rechtfertigen.

Fazit

Das Bundeskartellamt öffnet sich mit seinen zuletzt veröffentlichten Entscheidungen bei der kartellrechtlichen Bewertung von Nachhaltigkeitskooperationen ein wenig. Die in jedem Fall anzustellende Gesamtabwägung ist aber komplex. Wollen Unternehmen die neuen Spielräume nutzen, ist im Einzelfall zu prüfen. Bei der Prüfung kann mitunter auch der Blick in andere Jurisdiktionen helfen. Bis auf Weiteres dürfte für ausreichend rechtssichere Einschätzungen die Abstimmung mit dem Bundeskartellamt erforderlich sein. Dieses hat signalisiert, zur Konsultation zur Verfügung zu stehen.

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