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„Störung des Wettbewerbs“ als neuer Begriff im GWB
Als politisches Kernstück der 11. GWB-Novelle ist ein neues Eingriffsinstrument vorgesehen, mit dem das Bundeskartellamt im Anschluss an eine Sektoruntersuchung festgestellte Störungen des Wettbewerbs abstellen kann. Bisher endeten Sektoruntersuchungen mit einem Bericht des Bundeskartellamts; künftig kann die Behörde verschiedene Maßnahmen anordnen, um festgestellte Störungen des Marktes zu beheben. Unabhängig von einem Wettbewerbsverstoß erhält das Bundeskartellamt damit die Befugnis, in einem ersten Verfahrensabschnitt eine erhebliche und fortwährende Störung des Wettbewerbs festzustellen. Der Begriff „Störung des Wettbewerbs“ wird allerdings vom Gesetzgeber nicht definiert. Das Gesetz enthält in § 32f Abs. 5 Satz 1 eine nicht abschließende Liste von vier Regelbeispielen:
- Eine unilaterale Angebots- oder Nachfragemacht
- Beschränkungen des Marktzutritts oder -austritts oder der Kapazitäten oder des Wechsels zu einem anderen Anbieter oder Nachfrager
- Gleichförmiges oder koordiniertes Verhalten
- Abschottung von Einsatzfaktoren oder Kunden durch vertikale Beziehungen
In der Gesetzesbegründung wird explizit darauf hingewiesen, dass angesichts der Vielfalt denkbarer Konstellationen eine abschließende Definition nicht möglich sei.
Abhilfemaßnahmen ...
In einem zweiten Verfahrensabschnitt wird das Bundeskartellamt ermächtigt, den von der Verfügung nach § 32f Abs. 3 Satz 1 erfassten Unternehmen „alle Abhilfemaßnahmen verhaltensorientierter oder struktureller Art vorzuschreiben, die zur Beseitigung oder Verringerung der Störung des Wettbewerbs erforderlich sind“. Diese Maßnahmen können für diese Unternehmen weitreichende verhaltensorientierte oder quasistrukturelle Verpflichtungen umfassen. Das Gesetz nennt als mögliche Abhilfemaßnahmen insbesondere:
- Gewährung des Zugangs zu Daten, Schnittstellen, Netzen oder sonstigen Einrichtungen
- Vorgaben zu Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen auf den untersuchten Märkten und auf verschiedenen Marktstufen
- Verpflichtung zur Etablierung transparenter, diskriminierungsfreier, offener Normen und Standards durch Unternehmen
- Vorgaben zu bestimmten Vertragsformen oder Vertragsgestaltungen (einschließlich vertraglicher Pflichten zur Informationsoffenlegung)
- Verbot der einseitigen Offenlegung von Informationen, die ein Parallelverhalten von Unternehmen begünstigen
- organisatorische Trennung von Unternehmens- oder Geschäftsbereichen
Dieser Maßnahmenkatalog ist auch deshalb erstaunlich, weil das Bundeskartellamt in der Fusionskontrolle verhaltensbedingte Zusagen der Unternehmen rigoros ablehnt und stets nur strukturbezogene (Veräußerungs-) Zusagen akzeptiert.
… bis zur Entflechtung
Das Bundeskartellamt soll nach einer Sektoruntersuchung Unternehmen verpflichten können, praktisch alle relevanten Zusammenschlüsse auf bestimmten Märkten zur Fusionskontrolle anzumelden. Und als Ultima Ratio kann das Bundeskartellamt sogar eine missbrauchsunabhängige Entflechtung von Unternehmen anordnen, die entweder marktbeherrschend sind oder für die bereits eine überragende marktübergreifende Bedeutung nach § 19a GWB festgestellt wurde.
Rechtliche Zweifel
Am 14. Juni 2023 fand im Wirtschaftsausschuss des Bundestages eine öffentliche Anhörung von Sachverständigen statt. Die geplanten Neuregelungen wurden äußerst konträr diskutiert. Nach Meinung von Rupprecht Podszun, Direktor des Instituts für Kartellrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf gibt es in Deutschland Märkte mit einer „strukturellen Wettbewerbsarmut“, die sich über Jahre und Jahrzehnte verfestigt habe. Zudem sei die neue Regelung international kein Novum. Mit dem „Market Investigation Tool“ habe das Vereinigte Königreich seit 2002 ein sehr ähnliches Instrument, das etwa bei der Entflechtung von Flughäfen und im Zementbereich eingesetzt worden sei. Heike Schweitzer, Inhaberin des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, deutsches und europäisches Wirtschafts- und Wettbewerbsrecht und Ökonomik an der Humboldt-Universität zu Berlin, erwiderte, es sei Sache des Gesetzgebers, Märkte zu regulieren, und dies nicht einer Beschlussabteilung des Bundeskartellamts zu überlassen.
Verfassungswidrig?
Kritisch äußerten sich auch Verbandsvertreter und Vertreter von Unternehmen. Der Handelsverband Deutschland (HDE) und der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) sehen in der 11. GWB-Novelle einen drastischen Systemwechsel in der Wettbewerbspolitik. Sie lehnen eine neue Rolle des Bundeskartellamts als „Super-Behörde“, die einen Markt neu ordnen und umstrukturieren kann, strikt ab. Zudem legte Martin Nettesheim von der Universität Tübingen im Auftrag des HDE ein Gutachten vor, in dem er zentrale Neuregelungen als verfassungswidrig einstuft. Das Gutachten kommt unter anderem zu dem Ergebnis, dass das Gesetzesvorhaben nicht darauf abziele, Lücken im bestehenden Kartellrecht zu schließen, sondern einen vollkommen neuen ordnungspolitischen Ansatz darstellt – und das, ohne dass akute Missstände oder Regelungsbedarfe erkennbar seien. Dem Gutachten nach bekäme das Bundeskartellamt Befugnisse, die einer Behörde in der rechtsstaatlichen Demokratie nicht zustünden.